Die lukrative Symbiose von Fußball und
Verbrechen oder: Wie die Mafia Angebote macht, die man nicht ausschlagen kann.
Im Herzen des peruanischen Urwaldes haben
Politiker ihrem Fetisch ein Denkmal gesetzt: grün angestrichene,
überlebensgroße Kokablätter aus Zement. Damit ist auch gleich die Frage
erledigt, woher der Reichtum dieser gottverlassenen Gegend stammt, in die bis
heute nur eine unbefestigte Straße führt und die nicht mal einen ordentlichen Namen
hat, sondern nur als VRAE bekannt ist, als „Tal der Flüsse Apurímac, Ene und
Mantaro“.
Nirgendwo auf der Welt wird mehr Kokain
produziert als hier. Die ersten Koksflieger starteten von den behelfsmäßigen
Sandpisten neben den Flüssen in den 80er Jahren. Was das mit der WM zu tun hat?
Das Geschäft, das erst von Kolumbianern, dann von Mexikanern kontrolliert
wurde, ist inzwischen vor allem in der Hand brasilianischer Verbrechersyndikate,
allen voran das Erste Hauptstadtkommando (PCC). Sie haben in den vergangenen
Monaten ihre Lager mit Blick auf die WM aufgefüllt, wie der Drogenexperte Jaime
Antezana berichtet. „Täglich starten im VRAE fünf, sechs Kleinflugzeuge mit
bis zu 300 Kilogramm Kokain an Bord“, bekräftigt die Ex-Präsidentin der
peruanischen Anti-Drogen-Kommission (Devida), Carmen Masías. Kurz nach dieser
Aussage wurde sie Ende Mai abgesetzt.
Gilberto Rodriguez Orejuela Größter Kakain-Drahtzieher heute - bedeutenster Wett-Pate im Fußball |
Doch die Brasilianer kamen zum gleichen
Schluss: Im Mai starteten sie eine großangelegte Razzia entlang der Grenze.
Dabei wurden 40 Tonnen Rauschmittel sichergestellt – mehr als doppelt so viel
wie bei der letzten Aktion ein Jahr zuvor. Die WM ist auch für die Mafia
attraktiv.
Illegale Wetten
bringen den größten Gewinn
Die paraguayische Polizei erwischte am Freitag sieben
Mädchen auf der Grenzbrücke von Ciudad del Este. Sie wurden in zwei Autos nach
Brasilien gefahren, um dort prostituiert zu werden. Das größte Geschäft erhofft
sich allerdings die Wettmafia, die schon vor der WM 2010 in Südafrika
mindestens fünf Exhibitionsspiele verfälschte. „Wir müssen davon ausgehen, dass
die organisierte Kriminalität versucht, WM-Spiele zu manipulieren. Bei dieser
Veranstaltung werden die meisten Wettumsätze gemacht und die größten Gewinne
erzielt“, sagte der Sicherheitschef des Internationalen Fußball-Verbandes
(Fifa) Ralf Mutschke.
Dass es gleich bei den ersten beiden Spielen zu eklatanten
Schiedsrichterfehlern kam, untermauert den Verdacht vieler Fans. Der
amerikanische Sportjournalist Brian Tuohy glaubt, dass bei jedem WM-Spiel bis
zu einer Milliarde Dollar illegal verwettet werden. Die Geldflüsse im Fußball
sind enorm, global und unübersichtlich – was kann sich die Mafia besseres
wünschen?
Pioniere der Verzahnung von Fußball und Verbrechen waren dabei
die Kolumbianer. Als sich das Andenland 1997 für die WM qualifizierte, widmete
der damalige Starspieler Anthony de Avila sein entscheidendes Tor „denjenigen,
die im Gefängnis sitzen“. Damit meinte er die langjährigen Eigentümer seines
Clubs América de Cali: Miguel und Gilberto Rodríguez Orejuela, die
fußballbegeisterten Köpfe des Cali-Kartells, der damals einflussreichsten
Drogenmafia Südamerikas. Die Orejuela-Brüder wuschen ihre Drogenvermögen unter
anderem in diversen Fußballclubs. Gleiches hatte schon in den 80er Jahren
Drogenboss Pablo Escobar mit dem Club Atlético seiner Heimatstadt Medellín
gemacht, der dank dieser Finanzspritze 1989 sogar erstmals den Südamerika-Cup
gewann.
Pablo Escobar |
Alleine sind die Latinos dabei aber nicht: Auch bulgarische
Clubs sind einem Wikileaks-Kabel zufolge vom Organisierten Verbrechen
kontrolliert. In den vergangenen fünf Jahren ist die Justiz weltweit von Fällen
geradezu überrollt worden: Gerade erst wurde Pelés Sohn und Ex-Torhüter von
Santos, Edinho, zu 33 Jahren Haft wegen Geldwäsche verurteilt. Spanien
ermittelte wegen Geldwäsche gegen die Familie Messi.
Der ehemalige Atlético-Präsident José Luis Pérez Caminero steht
vor Gericht, weil er die Gelder eines mexikanisch-kolumbianischen Drogennetzes
wusch. 2010 flog ein Geldwäschenetz auf, in das argentinische Finanzagenturen,
uruguayische Banken, chilenische Spielervermittler und Clubs wie Santa Fé de
Bogota verwickelt waren. Es soll über 1,7 Milliarden US-Dollar gewaschen haben.
In Mexiko nahm die Polizei Anfang des Jahres den Drogenhändler Tirso Martínez
fest. Spitzname: „Der Fußballer“, denn er investierte seine Gewinne in drei
lokale Clubs und eine Spieleragentur. Auf Amateurniveau steht nicht immer die
Geldwäsche im Vordergrund, sondern das gesellschaftliche Prestige, das
Sportmäzene erlangen.
Jagd auf Koks-Plantagen |
Das zeigt ein Beispiel aus dem mexikanischen Bundesstaat
Michoacán. Dort betreiben die Kartelle Fußballschulen und sponsern lokale Clubs
– ein Mittel, sich Rückhalt in der Bevölkerung zu verschaffen.
Die Öffentlichkeit hat – bis auf ein paar spezialisierte
Journalisten wie Denis Robert, Misha Glenny und Declan Hill –
erstaunlicherweise lange keine Notiz davon genommen. Die erste Untersuchung der
Europäischen Union dazu stammt aus dem Jahr 2007. Im Weißbuch SPORT heißt es
immerhin: „Der Sport steht durch seine Kommerzialisierung vor neuen
Herausforderungen wie der Ausbeutung von Minderjährigen, Doping, Korruption,
Rassismus, illegale Wetten, Gewalt und Geldwäsche.“
2009 legte auch die Aktionsgruppe für
Finanztransaktionen in Südamerika (Gafisud) eine Studie zum Thema vor.
Keine der beiden Studien wirft Zahlen in den Raum. Der
ehemalige Fifa-Sicherheitschef und heute Direktor einer NGO für Sicherheit im
Sport, Chris Eaton, schätzt, dass jährlich 140 Milliarden Dollar auf der
Schattenseite des Sports umgesetzt werden. Die Geldströme flössen global, oft
über Steuerparadiese und Offshore-Banken und seien kaum zu verfolgen. Dabei
haben die Experten illegalle Fußball-Wetten „aufgrund der Komplexität“ gar
nicht erst untersucht. Dafür stellten sie fest, dass besonders die
undurchsichtigen Praktiken bei Spielertransfers ein schwarzes Loch bilden. Das
illustriert der Fall „Ciclón“.
Im Jahr 2009 stellte die spanische Polizei in den
Häfen von Algeciras und Valencia eine Tonne Drogen sicher und verhaftete
neun Spieler und Agenten, darunter den serbisch- französischen
Spielervermittler mit Fifa-Lizenz, Zoran Matijevic, und die Spieler Jesus Diez
(Atlético) und Pedrag Stankovic (Hercules). Ihnen wird in dem gerade laufenden
Prozess vorgeworfen, ein professionelles Drogenschmugglernetz zwischen
Argentinien und Spanien aufgezogen zu haben. Matijevic behauptet, er habe
damals über Spielertransfers verhandelt, daher stamme das viele Geld.
Dabei sind einige der weltweit 4 000 Fifa-Agenten
sogar in internationale Transfers von Minderjährigen verstrickt, wie der
chilenische Journalist und Buchautor Juan Pablo Meneses recherchiert hat. Bei
einem opulenten Meeresfrüchte-Abendessen ließ er sich von einem Fifa-Agenten
unterweisen, welche Tricks dabei zu beachten seien.
Die Fifa hält sich
vornehm zurück
Das Standardargument der Fifa lautet: Für die Gesetze
seien die jeweiligen Länder und Fußballverbände verantwortlich. Von denen sind
einige als notorisch korrupt bekannt. Doch selbst wenn man nicht so weit gehen
möchte wie der britische Journalist Andrew Jennings, der in seinem Buch
„Omertà“ die Fifa-Strukturen mit denen des organisierten Verbrechens
vergleicht, bleibt die Frage, warum die Fifa so lange untätig blieb.
Erst seit 2011, als das chinesische Fernsehen Spiele
aufgrund abgekarteter Ergebnisse nicht mehr übertrug, schrillten die
Alarmglocken. Die Fifa berief eine Konferenz mit Interpol ein, verabschiedete
einen Ethik-Code und machte den früheren Interpol-Agenten Eaton zum
Sicherheitschef. Dieser richtete eine Whistleblower-Hotline ein, arbeitete eng
mit nationalen Ermittlern zusammen und legte einen Fonds für die „ethische
Fortbildung“ der Fußballwelt auf. Unter ihm flogen zahlreiche Mafianetze auf.
Doch 2012, nachdem die Fifa einen von Eaton vorgeschlagenen Detektiv nicht
anheuern wollte, warf der für seine harte Haltung und klaren Worte
bekannte Australier das Handtuch. Nachfolger Mutschke pflegt eher Diskretion.
Die Fifa habe das Problem unterschätzt, sagt der
ehemalige BKAler – und reicht die heiße Kartoffel weiter: „Wir sperren Spieler
und Schiedsrichter lebenslänglich, aber die Mafia lässt sich durch unsere
Disziplinarmaßnahmen natürlich nicht abschrecken. Da ist die Justiz gefragt.
Doch die Drahtzieher sind auf freiem Fuß“, beklagte sich Mutschke 2013 auf der
gemeinsamen Interpol-Tagung in Kuala-Lumpur.
Mutschke bezog sich auf einen Fall, der 2012 ausgerechnet in
einem Land aufflog, das fußballerisch nicht gerade eine Größe ist: El Salvador.
Ein Reporter der Sportzeitung El Gráfico, dem der plötzliche Reichtum einiger
Spieler auffiel, brachte ans Licht, dass sieben Spieler der Nationalmannschaft
für 10.000 Dollar ihre Mannschaft auf Anweisung der Wettmafia verlieren
ließen.
Wie das funktioniert, erklärte Cristian Villalta, Chefredakteur
von El Gráfico, so: „Man braucht mindestens sechs aktive Spieler dafür, vor
allem den Torwart und die Verteidiger, die während des Spiels so viel faulen,
dass sie vom Platz gestellt werden, Eigentore schießen oder dem Gegner genau so
viele Tore ermöglichen, wie die Mafia braucht. Und dann braucht man einen
Ersatzspieler, der per Handy die Instruktionen entgegen nimmt.“ Bei einem
einzigen Spiel wurden Villalta zufolge so zehn Millionen US-Dollar verschoben.
Ein Jahr später brachte eine Ermittlung von Europol unter
Leitung der Bochumer Staatsanwaltschaft ans Tageslicht , dass in den Skandal
beileibe nicht nur Drittwelt-Länder und Amateurclubs verwickelt waren, sondern
300 europäische Spiele bis hoch zu WM-Qualifikationsspielen und der Champions
League in 15 Ländern, darunter Österreich, Italien und Deutschland. Die
Wettmafia zahlte bis zu 100.000 Euro an 425 Spieler, Schieds- und Linienrichter
und Funktionäre. Die Fäden liefen in Asien zusammen, der Hochburg der
Wettmafia.
Voriges Jahr wurde der Chef des Rings, Dan Tan, in Singapur
festgenommen. Doch ob er sich jemals vor Gericht verantworten muss, ist unklar.
In Singapur hat er keine Straftat begangen und die Ermittlungszusammenarbeit
mit den betroffenen Ländern versinkt in Bürokratie. Die Beweise seien
unzureichend, vertraute ein Justizbeamter der BBC an. Journalist Hill sagte der
BBC, die Singapurer Polizei sei korrupt und habe Dan Tan Straffreiheit
angeboten. Interpol-Chef Ron Noble bestritt dies, räumte aber ein, dass er
gegen eine Hydra kämpft. „Es ist ein für die Öffentlichkeit unsichtbares
Verbrechen, aber wenn man nicht den Daumen drauf hält, explodiert es einem im
Gesicht.“
.
Autor: Sandra Weiss
http://www.ipg-journal.de/kolumne/artikel/warum-sich-die-mafia-ueber-die-wm-freut-471/
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen