Es ist kein
gutes Bild, das die Kokain-Affäre auf die Polizei im Allgäu wirft. Der Chef der
Drogenfahndung sitzt in U-Haft, ein ambitionierter Mafia-Jäger wurde
suspendiert. Gab es am Ende gar Verstrickungen zwischen Ermittlern und
Kriminellen? Eine Geschichte über Macht, Verrat und Liebe.
Der Filterkaffee in den Tassen ist kalt
und der Chef des Kemptener Drogendezernats kocht vor Wut. Armin N. ist ein groß
gewachsener, drahtiger Mann Anfang Fünfzig. Was er gerade von dem auswärtigen
Kollegen in Sachen Kokain gehört hat, gefällt ihm ganz und gar nicht. „Pfuscht
uns nicht rein, wir haben unsere Stadt im Griff“, herrscht er den rund 20 Jahre
jüngeren, zwei Köpfe kleineren Polizisten an.
Ali Cicek (Name geändert) gehört zur
Kriminalpolizeiinspektion für zentrale Aufgaben (KPIZ), einer Spezialeinheit
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität mit Sitz in Neu-Ulm. Die
„Mafia-Jäger“, wie ihre Fahnder auch genannt werden, sind für den gesamten
Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West zuständig.
Gerade ermitteln sie im Kemptener
Drogenmilieu. Cicek gibt dem ranghöheren Armin N. offen Kontra: „Von wegen. An
jeder Ecke wird gedealt, es gibt eine offene Szene.“ Von dieser Auseinandersetzung, die sich
so vor etwa zwei Jahren zugetragen haben soll, wird in Polizeikreisen noch
heute erzählt – denn die Streithähne sind Hauptfiguren einer Geschichte um
Drogen, Macht, Gewalt, Verrat und Liebe. Keiner der beiden Polizisten geht mehr
auf Verbrecherjagd.
Ali Cicek ist seit über einem Jahr vom
Dienst suspendiert – weil er mit der attraktiven Frau eines mächtigen Drogenhändlers
eine Beziehung eingegangen ist. Sein Widersacher Armin N. sitzt an einem
geheimen Ort in Untersuchungshaft. Im Februar war der oberste Allgäuer
Drogenfahnder wegen des Besitzes von 1,6 Kilogramm Kokain festgenommen worden.
Über den Stand der Ermittlungen schweigt sich die zuständige Staatsanwaltschaft
München I aus.
Viele Fragen in der
Kokain-Affäre sind unbeantwortet
Viele Fragen sind offen. Woher stammen
die Drogen? Stand Armin N. im Kontakt mit kriminellen Banden, gar mit der
Mafia, die im idyllischen Allgäu stark vertreten sein soll? Verriet er
Dienstgeheimnisse wie bevorstehende Razzien? Hat der hochrangige Polizist
selbst mit Kokain gehandelt? Das Landeskriminalamt sucht seit 14 Wochen nach
der Wahrheit.
Während offizielle Antworten fehlen, ergibt
sich in zahlreichen Gesprächen mit Personen aus Sicherheitskreisen und dem
Umfeld der Beteiligten Puzzlestein für Puzzlestein ein Bild bizarrer Vorgänge
bei der Allgäuer Drogenfahndung.
Armin N. hat wohl
selbst Kokain konsumiert
Bekannt ist, dass Armin N. in den
Vernehmungen behauptet, dass er das Kokain mit einem Straßenverkaufswert von
bis zu einer Viertelmillion Euro nur zu Schulungszwecken besessen hat. Doch
daran glaubt bei Polizei und Justiz niemand. Immerhin hat der hochrangige Polizist zugegeben, selbst
Kokain genommen zu haben. Viele fragen sich nun, wie er dies vor Vorgesetzten
und Kollegen verbergen konnte.
Privat zeigt das Bild von Armin N. schon
länger Risse. Eine erste Ehe scheitert, gegenüber seiner zweiten Frau wird er
handgreiflich, offenbar so massiv, dass dauerhafte Schäden zurückbleiben. Das
Polizeipräsidium weiß von den Gewalttaten ihres Kommissariatsleiters, doch der
Sache wird nicht weiter nachgegangen. Offenbar ist der Frau von Armin N. nicht
an einer Strafverfolgung gelegen.
Nur nach außen ein
Musterbeamter?
Nach außen hin scheint der passionierte
Tennisspieler ein Musterbeamter zu sein. Als er vor vierzehn Jahren Leiter des
Kemptener Drogendezernats wird, sagt er bei einer Podiumsdiskussion, dass es
die heile Welt in Sachen Drogenmissbrauch auch im Allgäu nicht gibt. Die
Polizei sei in dieser Hinsicht viel aktiver als früher. Haben Armin N. und seine Leute die Stadt
in den folgenden Jahren wirklich im Griff? Polizei-Insider beschreiben die
Arbeit der Kemptener Drogenfahndung als „unauffällig“.
Vielleicht sogar auffällig unauffällig.
Die Mehrzahl der Fälle dreht sich laut Polizeistatistik um Haschisch und
Marihuana, von härteren Drogen werden nur vergleichsweise geringe Mengen
gefunden. Dabei beschreiben Szenekenner die Allgäu-Metropole als
„Kokain-Hochburg“. Das Rauschmittel aus dem südamerikanischen Koka-Strauch sei
quer durch alle gesellschaftlichen Schichten verbreitet.
Um diesen zweifelhaften Ruf Kemptens
wissen auch die Beamten der KPIZ. Diese Spezialisten zur Bekämpfung der
organisierten Kriminalität sind für ein Gebiet zuständig, das sich von
Gundremmingen im Kreis Günzburg bis Oberstdorf im Allgäu erstreckt. Ab 2009 gehen sie gezielt Hinweisen
nach, dass italienisch dominierte Banden im Allgäu den Handel mit Kokain
kontrollieren. Unter den Ermittlern ist der eingangs erwähnte Ali Cicek, ein
deutscher Polizist mit türkischen Wurzeln. Zur Kemptener Drogenaffäre äußern
will er sich nicht.
"Er wollte der Superbulle
sein"
Kollegen sagen: „Für Ali war der Dienst
wie ein Kinofilm, er wollte der Superbulle sein, war immer auf der Suche nach
der nächsten Herausforderung.“ Der junge Beamte gilt zeitweise als
Paradebeispiel für die gelungene Integration von Bürgern ausländischer Herkunft
in den Polizeidienst. Dass er zur KPIZ berufen wird, die den Ruf einer Art
Elitetruppe hat, muss für den Hobbyfußballer wie der Aufstieg in die Bundesliga
gewesen sein.
Den Verdacht der Ermittler aus Neu-Ulm
zieht schnell ein italienischer Gastronom auf sich. Giuseppe C. betreibt am
Kemptener Rathausplatz ein Lokal (das heute einen neuen Namen und einen neuen
Betreiber hat), bei schönem Wetter brummt an den Tischen vor der Gaststätte das
Geschäft mit Pizza, Pasta und Aperol Spritz. Seinen aufwendigen Lebensstil aber
finanziert der bullige Wirt, der stets den Hemdkragen hochgestellt trägt und
einen großen BMW-Geländewagen fährt, offenbar aus anderen Quellen.
Zunächst verdeckt, dann offen, taucht
Ali Cicek tief ein in eine Welt der schicken Lokale, schnellen Autos, schönen
Frauen. Kokain ist der Treibstoff, der diese Szene befeuert.
Die Mafia-Jäger aus Neu-Ulm und die
Kemptener Drogenfahnder unter Armin N. sollen sich gegenseitig unterstützen.
Die Praxis, sagen Eingeweihte, ist von Rivalitäten geprägt. Gerade „der Türke“
scheint nicht wohlgelitten bei den Kemptener Platzhirschen.
So geben Ali Cicek und seine
KPIZ-Kollegen angeblich mehrfach Hinweise auf Drogendelikte weiter. Während sie
die großen Haie jagen, sollen die Kemptener die kleinen Fische fangen. Doch
irgendwie erscheint deren Netz löchrig.
Überwachung ergibt
keine Hinweise
Ein Verdächtiger, so heißt es, sei von
einem Beamten der Kemptener Drogenfahndung offen über laufende Ermittlungen
informiert worden. Wenig überraschend: Bei der folgenden „geheimen“ Überwachung
der Telefonverbindungen des mutmaßlichen Drogendealers ergeben sich keinerlei
Hinweise auf Verbrechen. Auf die Aktivitäten eines stadtbekannten
Drogenhändlers habe die KPIZ noch deutlicher aufmerksam gemacht.
Nach Wochen heißt es bei den Kemptener
Drogenfahndern: „Der macht nichts.“ Merkwürdig: Der Mann geht später den
KPIZ-Beamten ins Netz, ihm kann der Handel mit einem Kilo Kokain nachgewiesen
werden. Razzien, bei denen beide Dienststellen
kooperieren, bringen selten den gewünschten Erfolg. Teilnehmer fragen sich
heute: Wurden Aktionen aus dem Kemptener Drogendezernat heraus verraten? Welche
Rolle spielte Armin N.?
Alter Vorfall wird neu
betrachtet
Nach Informationen unserer Zeitung wird
in diesem Zusammenhang auch ein Vorfall von 2012 neu beleuchtet. Ein enger
Mitarbeiter von Armin N. aus dem Rauschgiftdezernat soll über eine dritte
Person den Drogenhändler Giuseppe C. vor Polizeiaktionen gegen ihn gewarnt
haben. Bei einer Telefonüberwachung erfahren die KPIZ-Beamten davon und geben einen
Hinweis ans Präsidium weiter. Nach Angaben des Kemptener Polizeipräsidiums
wurde ermittelt, das Verfahren aber im Juni 2013 eingestellt – mangels Aussicht
auf eine Verurteilung.
Eingeweihte glauben, dass die laufenden
Ermittlungen gegen Armin N. neue Erkenntnisse in dieser Sache bringen könnten.
Bei der Staatsanwaltschaft München I war dazu gestern keine Auskunft zu
bekommen. Der Kemptener Polizeiführung sollen zudem sogar konkrete Hinweise
vorgelegen haben, dass Polizisten der Kemptener Drogenfahndung auf Partys
gesichtet wurden, bei denen Kokain konsumiert wurde.
Rund 60 Personen
müssen sich wegen Drogenvergehen verantworten
Trotz vieler Hindernisse und
Merkwürdigkeiten sind die Ermittlungen der Mafia-Jäger erfolgreich – wenn auch
nicht im erhofften Ausmaß. Am Ende müssen sich rund 60 Personen aus Kempten und
Umgebung wegen Drogenvergehen und anderer Delikte vor dem Richter verantworten.
Giuseppe C. wird im Frühjahr 2013 als einer der Haupttäter zu viereinhalb
Jahren Haft verurteilt, weitere Dealer müssen ebenfalls für längere Zeit hinter
Gitter.
Die Arbeit der KPIZ ist damit nicht
beendet. Das nächste Ziel: Herauszufinden, wer die Hintermänner sind, die
Dealer wie Giuseppe C. mit Kokain beliefern. Weltweit dominieren
Mafia-Organisationen den Handel mit dem Aufputschmittel. Dass das Allgäu
Rückzugsraum von Mafiosi ist, hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann
kürzlich im Gespräch mit unserer Zeitung bestätigt.
Mit Gastarbeitern waren einst auch
Gangster aus der Region um das sizilianische Adrano gekommen – einer Hochburg
der Cosa Nostra, die wegen hunderten von Mafia-Morden als „Todesdreieck“
bekannt geworden ist. Welche Rolle spielt die ehrenwerte Gesellschaft heute im
Allgäu? Diese Frage bewegt die Beamten der KPIZ. Den tiefsten Einblick in die
Kemptener Kokainszene, da sind sich Eingeweihte einig, hat Ali Cicek.
Beziehung zu einer
früheren Gangsterbraut
Doch zu weiteren Ermittlungen kommt er
nicht mehr. Im Frühjahr 2013 wird er vom Dienst suspendiert – wegen seiner
Liebe zu einer früheren Gangsterbraut. Ali Cicek hat sich ausgerechnet in die
Frau der Hauptfigur im Kemptener Kokainverfahren verliebt. Die Ehe der blonden
Simone (Name geändert) mit Giuseppe C. soll bereits zerrüttet gewesen sein.
Die Beziehung zwischen ihr und dem
Beamten, der ihren Ehemann hinter Schloss und Riegel brachte, hat angeblich
erst nach dem Verfahren begonnen. Trotzdem reagiert das Polizeipräsidium hart,
als es von dem brisanten Verhältnis erfährt. Den Hinweis soll eine Frau aus dem
Umfeld der Drogenszene gegeben haben, die angeblich seit Jahren mit Armin N.
bekannt ist.
Der Leiter des Drogendezernats, den
heute niemand bei der Polizei so richtig gekannt haben will, gilt zu jener Zeit
als bestens vernetzt mit seinen Vorgesetzten im Präsidium. Hat er die Fäden
gezogen, um seinen erklärten Feind Ali Cicek auszuschalten? Plötzlich wird dem
erfolgreichen Ermittler Geheimnisverrat vorgeworfen.
Auch der Vorgesetzte
verliert seinen Posten
Auch der Vorgesetzte von Ali Cicek
verliert seinen Posten. Ihm wird vorgeworfen, auf die brisante Beziehung seines
Untergebenen nicht angemessen reagiert zu haben.
Das Landeskriminalamt ermittelt mehrere
Wochen lang. Und findet keinerlei Hinweise, dass der junge Ermittler Cicek
seiner neuen Partnerin etwa Dienstgeheimnisse ausgeplaudert haben könnte. Doch
die Suspendierung des Polizisten dauert bis heute an.
Ali Cicek ist in Polizeikreisen nicht
unumstritten. Er habe bei den Ermittlungen auch seine Wirkung auf Frauen
ausgenutzt, Damen aus dem Umfeld der Drogenhändler für Informationen
„angezapft“, heißt es. Doch viele fragen sich: Warum ging das Polizeipräsidium
mit solcher Härte gegen einen erfolgreichen Drogenfahnder vor? Sie sehen Ali
Cicek und seinen Chef als Opfer einer Intrige von Armin N. und möglicher
Komplizen.
Wollte der koksende Kommissar verhindern,
dass der neugierige Jungfahnder ihm auf die Schliche kommt? Dass der
KPIZ-Ermittler und sein Chef aus dem Verkehr gezogen wurden, dürfte Armin N.
nicht nur wegen des Eklats bei der Dienstbesprechung gefreut haben. Er hatte
einstweilen Ruhe.
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