Samstag, 11. Oktober 2014

Don Ciotti – für die Mafia vogelfrei

Der Mann, den die Mafia in Italien heute am meisten fürchtet, ist weder ein Polizist noch ein Richter oder Staatsanwalt und erst Recht kein Politiker. Es ist auch nicht der durch seine Mafia-Enthüllungen bekannt gewordene Autor Roberto Saviano, sondern ein fast 70-jähriger katholischer Priester namens Don Luigi Ciotti. Mehrere Staatsanwaltschaften im Süden und im Norden des Landes sprechen von einer großen Gefahr: Die Mafia bereitet ein Attentat auf Luigi Ciotti vor und würde ihn lieber heute als morgen umbringen. Inzwischen fordert auch der Mafia-Ausschuss im italienischen Parlament besseren Schutz für den Priester. Aber warum will die Organisierte Kriminalität ihn überhaupt töten?




Luigi Ciotti wurde 1945 in Norditalien geboren und 1972 zum Priester geweiht. Als Pfarrgemeinde wurde ihm »die Straße« anvertraut. Und dort widmete er sich sofort den Letzten und in erster Linie den Drogenabhängigen. Dann weitete er seinen Schaffensbereich auf andere Problemfelder aus und wandte sich unter anderem den Prostituierten zu. Immer auf der Suche nach den Ursachen bestimmter Phänomene kam zu seinen Wirkungsgebieten bald die Bekämpfung von AIDS hinzu, aber auch der Kampf für ein weniger repressives Drogengesetz. Ciotti hat immer die Hilfe für bestimmte unterprivilegierte Gruppen mit einem breiteren sozialen Engagement vereint. Wenn er sich mit den Migranten beschäftigte, versuchte er gleichzeitig in der Gesellschaft mehr Solidarität zu organisieren, indem er seine Ideen in Schulen und in die Universitäten trug.

Anfang der 90er Jahre begann er, sich auch mit der Organisierten Kriminalität und der Mafia zu beschäftigen. Das waren ganz besondere Jahre: Im Sommer 1992 wurden die beiden Anti-Mafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino auf Sizilien ermordet. Gleichzeitig hatte man das Gefühl, dass die Politik sich immer mehr mit der Mafia arrangierte - und heute wissen wir, dass zu jener Zeit Verhandlungen zwischen Teilen des Staatsapparates und der sizilianischen Cosa Nostra liefen, um zu einer Art Waffenstillstand zu gelangen. Dieses Kapitel der italienischen Geschichte liegt noch zum Teil im Dunkeln, aber es ist Fakt und vielleicht kein Zufall, dass die großen Attentate der Mafia fast schlagartig endeten, als Silvio Berlusconi in die Politik ging und 1994 aus dem Stand bei den Wahlen die relative Mehrheit der Stimmen erhielt.

1995 gründete Don Ciotti »Libera« (Frei), eine Anti-Mafia-Organisation, die sich schnell über das ganze Land ausbreitete. Ziel von »Libera« ist es, verschiedene Vereine und Privatpersonen bei ihrem Kampf gegen die Mafia in all ihren Formen zu koordinieren und zu unterstützen. »Wir wollen die Zivilgesellschaft zur Bekämpfung der Mafia-Organisationen anspornen und Freiheit und Gerechtigkeit fördern«, heißt es im Manifest der Organisation. Heute gehören zu diesem Netzwerk etwa 1600 Verbände, Schulen und Basisorganisationen, die sich »engagieren, um politische, kulturelle und organisatorische Synergien zu schaffen, über die man die Kultur der Legalität verbreiten kann«.

Neben der Aufklärungsarbeit gehört zu den Hauptaufgaben von »Libera« die Verwaltung von beschlagnahmten Besitztümern der Mafia (gemeint sind immer die verschiedenen kriminellen Organisationen wie ’Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra). Dabei tritt der Verband von Ciotti nie direkt als Verwalter auf, sondern begleitet soziale Kooperativen bei ihrer Aufgabe. Seit 1995 gibt es - auch auf Betreiben von »Libera« - ein Gesetz, damit diese konfiszierten Güter sozial genutzt werden.

Dazu gehören Bargeld, Aktien und andere Wertpapiere, Immobilien wie Häuser, Villen und Ländereien oder auch Betriebe und ganze Einkaufszentren, die von der Mafia häufig für die Geldwäsche genutzt werden. Die meisten davon gibt es natürlich in den »klassischen« süditalienischen Mafiaregionen Sizilien (5515), Kampanien (1918), Kalabrien (1811) und Apulien (1126), aber in den letzten Jahren haben vor allem die Lombardei (1186) und Latium (645) »aufgeholt«, was einmal mehr beweist, dass die Mafia kein regionales, sondern ein nationales (und auch internationales) Phänomen ist.

Die Beschlagnahmung der »Güter« ist der Mafia seit eh und je ein Dorn im Auge, da man ihr so im besten Fall die materielle und finanzielle Grundlage entzieht. Natürlich ist der norditalienische Priester dafür nicht verantwortlich - die Konfiszierung erfolgt nach festen Regeln und auf Anordnung eines Richters -, aber in der Mafia steht er genau für diese Praxis. Deshalb soll er sterben.

Kürzlich wurde in einem Hochsicherheitstrakt ein Gespräch zwischen dem Mafiaboss Totò Riina und einem Mithäftling abgehört, bei dem Riina Ciotti als »niederträchtig und böse« bezeichnete und ihn damit praktisch zum Abschuss freigab. Auch in Turin, Palermo und Caltanissetta hat die Polizei eindeutige Hinweise dafür gesammelt, dass die Mafia ein Attentat gegen den Geistlichen plant. Daher wurde seine Bewachung verstärkt und auch andere Maßnahmen ergriffen, die seinem Schutz dienen sollen. Luigi Ciotti selbst reist aber trotzdem unermüdlich durch Italien, besucht Schulen und hält Vorträge, wie es seine Art ist. Und kürzlich, auf die Morddrohungen angesprochen, erklärte er: »Nicht das Ich ist wichtig. Es geht um das Wir«.


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