Konfiszierte Besitztümer der Cosa Nostra schaffen Arbeitsplätze in
landwirtschaftlichen Kooperativen auf Sizilien. Eine Chance vor allem für viele
Jugendliche in der von Rekordarbeitslosigkeit geplagten Region.
Es war im November 1991, als Rita Atria,
Tochter einer alteingesessenen Mafia-Familie, zum ersten Mal mit den Gesetzen
ihrer Heimat brach. Die Siebzehnjährige aus Partanna im Herzen Siziliens
beschloss, die Ermordung ihres Vaters und Bruders zu rächen, indem sie vor der
Justiz gegen ihren ganzen Heimatort aussagte.
Sie wurde für die Mafia gefährlich, weil
sie nicht nur einzelne Verbrechen, sondern ganze mafiöse Strukturen aufdeckte
und ihre Anklage bis auf den korrupten örtlichen Parlamentsabgeordneten ausdehnte.
Ein Jahr lang hielt Rita, mit einer neuen Identität ausgestattet, unter
Polizeischutz in Rom durch, bis Angst und Verzweiflung über die Ermordung ihres
„Ersatzvaters“, des Staatsanwalts Paolo Borsellino – er kam bei einem
Sprengstoffschlag ums Leben – überhandnahmen und sie in den Selbstmord trieben.
Die mutige Rita Atria ist auf Sizilien
eine Symbolfigur. Auf ihrem Grabstein sind die Worte eingraviert: „Die Wahrheit
lebt.“ Das tragische Schicksal des Mädchens, das allein gegen die Mafia
rebelliert hat, inspiriert viele Menschen auf Sizilien. Ihre Revolte gegen die
Cosa Nostra ist zum Beispiel für viele sizilianische Jugendliche geworden, die
sich nicht vor der Präpotenz der Clans und dem Gesetz des Schweigens – der
Omertà – beugen wollen.
Genossenschaft. Nach der heldenhaften Rita, die Licht in die Dunkelheit der mafiösen Organisation bringen wollte, ist jetzt eine neue landwirtschaftliche Genossenschaft benannt worden, die ab November die Verwaltung eines der aus dem Besitz der Mafia konfiszierten Grundstücke unweit der sizilianischen Stadt Trapani übernimmt. Die Kooperative will auf dem Land Bio-Olivenöl produzieren. Dabei sollen neue Arbeitsplätze entstehen, die im von einer Rekordarbeitslosigkeit geplagten Sizilien Jugendlichen eine solide Alternative zu den Fängen der organisierten Kriminalität bieten sollen.
Widerstandslos sieht die Mafia aber
nicht zu, wie ihr fruchtbares Land entzogen wird. Im Sommer wurden Teile der
Olivenhaine in Brand gesetzt. Traktoren und Landwirtschaftsmaschinen wurden zerstört,
was der jungen Genossenschaft großen finanziellen Schaden zufügte. Solche
Angriffe stärken jedoch Trotz und Selbstbehauptungswillen der
Genossenschaftsmitglieder. „Wir lassen uns nicht entmutigen, wir wissen, dass
wir auf dem richtigen Weg sind.
Einschüchterungsaktionen seitens der
Mafiosi motivieren uns nur noch mehr, uns für dieses Projekt zu engagieren“,
sagt Francesco Citarna, Initiator des Projekts.
Die Genossenschaft Rita Atria gehört dem
Verband Libera Terra (Befreites Land) an, einer Antimafia-Initiative, der sich
neun Genossenschaften angeschlossen haben und die in Süditalien 1400 Hektar
Land verwaltet und circa 140 Personen beschäftigt.
Es war die Idee des Pfarrers Luigi
Ciotti, die vom Staat konfiszierten und oft brachliegenden Mafia-Besitztümer
wieder der Gemeinschaft zurückzugeben. Musterbeispiel für ehemaliges mafiöses
Land, das wieder in die legale Wirtschaft überführt wurde, ist die von Libera
Terra initiierte Agrargenossenschaft Placido Rizzotto.
Sie bewirtschaftet die Felder rund um
die Cosa-Nostra-Hochburgen Altofonte, Camporeale, Corleone und Monreale und
beschäftigt Dutzende Jugendliche. Angebaut werden Weizen, Wein, Öl, Honig und
Melonen – alles kontrolliert ökologisch. Erwerben kann man die Produkte in
vielen Supermärkten in ganz Italien, in Geschäften des fairen Handels, sowie in
den Verkaufsräumen von Libera Terra. „Unsere Produkte sind mehr als nur
Lebensmittel. Sie sind ein Zeichen des Widerstands gegen die Macht der Mafia“,
erklärt Pater Luigi Ciotti, der vor 20 Jahren den Anti-Mafia-Verband gegründet
hat.
Pater Luigi Ciotti |
Auf dem freien Markt. 70 verschiedene Produkte, darunter Pasta, Backwaren und Konserven, werden inzwischen von Libera Terra produziert. Die neun Genossenschaften haben 2013 5,8 Millionen Euro erwirtschaftetet, und der Trend ist steigend. „Allein im vergangenen Jahr konnten wir ein Plus von 20Prozent bei den Ausfuhren ins Ausland melden. Dies bezeugt, dass man auch außerhalb Siziliens unsere Waren und Produktionsphilosophie schätzt“, meint Citarna. Für den Sprecher von Libera Terra ist es besonders wichtig, dass die Produktion auf den von der Mafia konfiszierten Feldern auf dem freien Markt konkurrenzfähig ist.
„Unser Ziel ist, die Qualität unserer
Produkte immer mehr zu steigern und zugleich schwarze Zahlen zu schreiben. Wir
hoffen somit, dass andere Landwirtschaftsunternehmen unserem Beispiel folgen.
Wir beweisen, dass man auf Sizilien auf ehrliche Weise arbeiten kann“, betont
der 32-Jährige. Auf der von einer Jugendarbeitslosigkeit von 44Prozent
geplagten Insel fühlt sich Citarna dank seines Engagements bei Libera Terra als
Privilegierter. „Ich habe eine Arbeit, der ich mit Leidenschaft nachgehe und
die zum sozialen Neustart meiner Region beitragen kann. Und ich bin im
Gegensatz zu vielen Gleichaltrigen nicht gezwungen, meine Insel zu verlassen“,
sagt Citarna.
Mafiagüter im Wert von 14 Milliarden
Euro wurden in den vergangenen 20 Jahren der Gemeinschaft zurückerstattet.
Pater Ciotti, ein moderner Robin Hood, der den ehrlichen Süditalienern das
zurückgeben will, was die Kriminellen ihnen genommen haben, hat 1996 in wenigen
Monaten genügend Unterschriften gesammelt, um eine Gesetzesänderung zu
erwirken. Seitdem müssen enteignete Mafiagüter sozialen Zwecken und
Einrichtungen zugutekommen. „Die Mafia zittert, wenn ihr die Früchte ihrer
kriminellen Geschäfte entzogen werden. Die Mafiosi wollen nicht akzeptieren,
dass auf ihren einstigen Grundstücken Jugendliche ehrlich arbeiten“, sagt
Ciotti.
Immer wieder warnt er vor der „Mafia in
weißen Handschuhen“, die nicht mehr mordet, aber in Norditalien und im Rest
Europas die Einnahmen krimineller Aktivitäten wie Drogen- und Waffenhandel,
Prostitution und Erpressung wäscht. „Heute ist der Mafioso ein Unternehmer, er
diversifiziert seinen Geschäftsbereich und bewegt sich gewandt in der Finanzwelt“,
berichtet der 69-jährige Priester, der in Italien zur Ikone der
Antimafia-Revolte des ehrlichen Siziliens aufgerückt ist.
Die Mafia kaufe sich auch da ein, wo die
Wirtschaft noch wächst, etwa in der Lebensmittelindustrie. Das zerstöre die
gesunde Wirtschaft und Arbeitsplätze. In ganz Italien seien rund 5000 Lokale
beschlagnahmt worden, weil sie im Besitz der Mafia standen. „Heute warten
unzählige Güter, Immobilien, Ländereien und mehrere tausend Unternehmen auf
neue Nutzer“, meint Ciotti. 11.238 Immobilien und 1708 Unternehmen wurden vom
italienischen Staat der Mafia abgenommen, 42 Prozent auf Sizilien, der Rest in
anderen italienischen Regionen.
Was der Staat den Bossen wegnimmt, darf
nicht verkauft oder gewinnbringend genutzt werden. Die Gefahr, dass die
Mafia-Familien zurückkehren, wäre allzu groß. Die Genossenschaften arbeiten
deswegen gemeinnützig. Gemeinden, die Häuser übertragen bekommen, müssen diese
für soziale Zwecke nutzen, für Familienwohnungen, Schulen, Bibliotheken. Ein
Beispiel ist die konfiszierte Villa der langjährigen Nummer eins der Mafia,
Salvatore Riina, in der Paten-Hochburg Corleone, die in eine Berufsschule
umgewandelt wurde. In einem anderen Anwesen Riinas wurde eine Polizeistation
eingerichtet. „Ich glaube, in ganz Italien gibt es keine so prunkvolle
Polizeistation mit Marmorböden und goldenen Türklinken“, scherzt Ciotti.
ehemalige Residenz des Mafia-Paten Riina - heute Polizeistation in Corleone |
Drohungen. Seine unermüdliche Arbeit ist den Clans, die ihn immer wieder bedrohen, ein Dorn im Auge. So wurden zuletzt die Sicherheitsvorkehrungen um den Priester aus dem Dolomiten-Ort Pieve di Cadore verschärft, nachdem sich die Drohungen gegen ihn vermehrt hatten, was aber eine Solidaritätswelle auslöste. Staatspräsident Giorgio Napolitano rief den Priester an, um ihm den Rücken zu stärken.
Der Geistliche ist jedoch ohnehin kein
Mann, der sich einschüchtern lässt: „Mein Kampf gegen die Mafia wurzelt direkt
im Evangelium. Ich bin nur ein Priester, diese Arbeit wäre nicht möglich, wenn
viele Menschen ihre Kräfte nicht vereinen würden, um für Gerechtigkeit zu kämpfen.
Libera ist heute eine derart solide Bewegungen, dass sie auch ohne mich weiter
wachsen kann. Nicht das ,Ich‘, sondern das ,Wir‘ zählt.“
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