Iguala hat sich in das kollektive Gedächtnis Mexikos
eingebrannt. Das Massaker dort hat die internationale Wahrnehmung des Landes
verändert. Doch verändert es auch den Kampf gegen organisierte Verbrechen?
"Der Druck auf die mexikanische Regierung hat
zugenommen", meint Olaf Jacob, Teamleiter für die Region Lateinamerika bei
der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Berlin. Seit Iguala stünde Mexiko in der
Öffentlichkeit unter intensiver Beobachtung. "Eine kontinuierliche
Berichterstattung über ein Thema aus Mexiko über einen langen Zeitraum - so
etwas gab es bisher noch nicht."
Die mexikanische Botschaft in Berlin hat auf die Lage
reagiert. Seit kurzem kümmert sich dort der Diplomat Cristóbal González um den
Bereich Menschenrechte und Zivilgesellschaft. Um für Verständnis in der
deutschen Öffentlichkeit zu werben, bereitet er für Dezember den Besuch eines
hochrangigen Mitglieds der mexikanischen Regierung vor. Um welchen Politiker es
sich dabei handelt, ließ González im Gespräch mit der DW offen.
"Iguala - Wiege von Mördern" - Studenten-Protest an einer Autubahnmautstation |
In der Ortschaft Iguala waren in der Nacht vom 26. auf
den 27. September 43 Lehramtsstudenten verschwunden. Offiziell gelten sie noch
als "vermisst". Doch es wurden bereits sechs Massengräber mit 28
verkohlten Leichen entdeckt. Am 9. Oktober wurden vier weitere Gruben mit
menschlichen Überresten aufgefunden. Bis jetzt wurden 56 Tatverdächtige
festgenommen, darunter Polizisten, städtische Sicherheitskräfte und Kriminelle
aus dem Drogenmilieu.
Empfang beim Präsidenten
Um die Beschwerden über die schleppenden Ermittlungen
auszuräumen, empfing Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto am 29. Oktober
erstmals Angehörige der Opfer in seiner Residenz "Los Pinos". Peña
Nieto versprach ihnen mehr Unterstützung sowie tägliche Informationen zu dem
Stand der Ermittlungen. In der Öffentlichkeit erhob der Präsident die
Aufklärung des Massakers zu seiner politischen Priorität.
Verspricht Aufklärung: Präsident Enrique Peña Nieto |
Bei den Angehörigen jedoch überwiegt weiterhin die
Skepsis. So bestanden sie darauf, Forensiker aus Argentinien an den
Ermittlungen zu beteiligen, weil sie den mexikanischen Behörden misstrauten.
Dies wiederum führte zu weiteren Verzögerungen. Da die meisten in den
Massengräbern gefundenen Leichen verkohlt waren, dauern die DNA-Analysen zur
Identifizierung der Toten länger als erwartet.
"Ich bin nicht gekommen, um den Präsidenten um
einen Gefallen zu bitten, sondern um berechtigte Forderungen zu stellen",
erklärte der Vater eines Opfers nach dem Besuch vor der mexikanischen Presse.
"Ich dachte, die Regierung wäre effizienter, aber sie macht nur zehn
Prozent von dem, was ich mir vorgestellt habe", fügte er enttäuscht hinzu.
Entfesselte Gewalt
Nach Ansicht von Experten durchläuft Mexiko zurzeit
eine ähnlich schwierige Phase wie Kolumbien in den 90er Jahren. "Die
Kartelle in Mexiko treten in besonderem Maße gewaltsam auf, mit einer
Brutalität, die man nur als entfesselte Gewalt bezeichnen kann", erklärt
Günther Maihold, stellvertretender Leiter der Stiftung Wissenschaft und
Politik, der zurzeit zum Thema organisierte Kriminalität am Wilhelm und
Alexander von Humboldt-Lehrstuhls in Mexiko forscht.
Grund dafür sei vor allem die Fragmentierung der
Kartelle. "Die Zersplitterung hat die Zahl der Gewaltakteure
vervielfältigt und die Konkurrenz um die Transitrouten und Vertriebswege
verschärft", erläutert Maihold.
Ordnungsgaranten oder Komplizen der Drogenmafia? Mexikos Bevölkerung hat kaum Vertrauen in ihre Sicherheitskräfte |
Edgardo Buscaglia, Experte für Wirtschaftskriminalität
an der Colombia University, will nicht mehr länger untätig zusehen. Er ruft zu
Massenprotesten auf: "Die Zivilgesellschaft muss auf die Straße gehen, so
wie 1989 in Kolumbien nach der Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Luis
Carlos Galán durch die Drogenmafia", erklärt er. Nur Massenproteste
könnten langfristig eine Reinigung des mexikanischen Staates erzwingen.
Parlament in der Pflicht
Buscaglia forderte zudem das mexikanische Parlament
auf, Gesetze zu verabschieden, die Verbindungen von politischen
Verantwortungsträgern zu kriminellen Vereinigungen erschweren. "Wir müssen
die Vorteilsnahme und den Missbrauch von öffentlichen Geldern unter Strafe
stellen, so wie dies bereits in Deutschland, Japan, Frankreich und Kanada
geschieht", sagte er im Gespräch mit der DW.
Günther Maihold gibt sich zurückhaltender. "In
Mexiko haben sich Korruption und organisiertes Verbrechen in den Strukturen des
Staates eingenistet. Eine plötzliche Wende ist nicht zu erwarten sein",
meint er.
Nach Angaben Maiholds unterstützen Kolumbien und die
USA Mexiko bereits bei der Reform der Polizei. "Das Hauptproblem ist die
Verteilung", meint Maihold. "Die Erweiterungen im Fähigkeitsprofil
der Polizeikräfte finden meist auf der Ebene der Bundespolizei und in einigen
Bundesstaaten statt." Nötig sei aber vor allem die Unterstützung der
lokalen Polizei, die am meisten vom organisierten Verbrechen unterwandert
werde.
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