Befragung durch die
Staatsanwälte im Quirinal am Dienstag
Rom - Zum ersten Mal in der Geschichte
Italiens wird ein Staatsoberhaupt als Zeuge bei einem Mafia-Prozess aussagen.
Der italienische Präsident Giorgio Napolitano wird am kommenden Dienstag von
Staatsanwälten als Zeuge im Rahmen eines Verfahrens in Palermo befragt, bei dem
Politiker und Mafia-Bosse gemeinsam auf der Anklagebank sitzen.
Wegen seines Amtes wird der 89-jährige
Napolitano nicht vor dem Schwurgericht in Palermo aussagen, vor dem der Prozess
läuft. Er wird im Quirinal, seinem römischen Amtssitz, die Fragen der
Staatsanwälte beantworten. Auch die Anwälte der angeklagten langjährigen
"Nummer eins" der Mafia, Salvatore Riina, werden Napolitano Fragen
stellen können, berichteten italienische Medien.
Geheimpakt mit Cosa
Nostra
Laut der Staatsanwaltschaft von Palermo
soll der italienische Staat in den 1990er-Jahren einen Geheimpakt mit der
sizilianischen Cosa Nostra geschlossen haben. Ziel sei gewesen, Bomben- und
Mordanschläge der Mafia zu stoppen. Hochrangige Politiker seien der Cosa Nostra
mit erleichterten Haftbedingungen für rund 400 inhaftierte Mafiosi
entgegengekommen. Gerichtsurteile seien aufgehoben, wie im Fall des jahrelang
untergetauchten Bosses Bernardo Provenzano. Auch seien mafiafreundliche
Gesetzesänderungen versprochen worden, so die Ankläger. Im Gegenzug habe die
Cosa Nostra auf neue Anschläge verzichtet.
Angeklagt sind zehn prominente Mafiosi,
Carabinieri-Offiziere und Politiker, darunter der inhaftierte Mafia-Pate Riina,
Ex-Innenminister Nicola Mancino und der Ex-Senator und Vertraute von Ex-Premier
Silvio Berlusconi, Marcello Dell'Utri. Der Prozess läuft seit über einem Jahr,
die Staatsanwälte haben mehr als vier Jahre ermittelt. Sie stützen sich auf
Aussagen sogenannter "Pentiti", reuiger Mafiosi und dutzender
weiterer Zeugen.
Staatsanwaltschaft
vermutet Waffenstillstand
Die Ankläger glauben, dass zwischen
Frühjahr 1992 und Winter 1994 geheime Gespräche zwischen Vertretern aus
Politik, Polizei und Geheimdiensten mit der Mafia stattfanden. Es soll eine Art
Waffenstillstand ausgehandelt worden sein, während der Staat offiziell eine
harte Gangart gegen die Mafia propagierte. Während die mutmaßlichen
Geheimverhandlungen bereits liefen, wurden 1992 die Anti-Mafia-Richter Giovanni
Falcone und Paolo Borsellino ermordet. Danach verübte die Mafia Anschläge in
mehreren Städten. Im Mai 1993 starben in Florenz fünf Menschen durch eine
Autobombe. Im Jahr darauf hörten die Attentate schlagartig auf - als Folge der
inzwischen getroffenen Vereinbarung, vermuten die Ankläger.
Im Jahr 1993 warnte der Geheimdienst Sisdi
vor der Gefahr eines Anschlags auf Napolitano, der damals das Amt des
Präsidenten der Abgeordnetenkammer bekleidete. Über die Ereignisse dieser Jahre
soll jetzt Napolitano den Staatsanwälten berichten. Einer der Staatsanwälte
klagte, man sei bei der Ermittlungsarbeit auf zahlreiche Widerstände in Politik
und anderen Institutionen gestoßen. Als Nebenkläger treten beim Prozess in
Palermo Angehörige von Mafia-Opfern sowie Anti-Mafia-Initiativen auf.
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