von Linda Wurster
Die Mafia gilt als männerdominiert. Doch an der Spitze einiger der
mächtigsten Clans stehen Frauen. Das Buch „Die Stunde der Patinnen“ zeigt
besonders einflussreiche Mafia-Chefinnen. Eine von ihnen ist Maria Licciardi,
die als „Lady Camorra“ ein Imperium aufbaute – und es bis zum Letzten
verteidigte.
Um die Verbrecherorganisation der italienischen Mafia ranken sich viele
Geschichten. In ihnen spielen meist Männer die Hauptrolle - Frauen tauchen
allenfalls als loyale Ehefrauen und hingebungsvolle Mütter auf. Doch die
Realität sieht längst anders aus.
„Lady Camorra“
Maria Licciardi
Am 14. Juni 2001 zwingen Sonderheiten der
italienischen Polizei ein Fahrzeug zum Anhalten. Aus dem Auto steigt Maria Licciardi.
Spitzname: „Lady Camorra“. Die 50-Jährige steht auf der Liste der 30
meistgesuchten Verbrecher Italiens. Autorin Schwabeneder-Hain beschreibt
Licciardi als „kleine, energische und sphinxhafte Frau“. Und als „echte Patin:
ein Camorra-Boss mit Verbindungen rund um den Globus“.
Aufgewachsen ist Licciardi in einem Problemviertel von Neapel. Ihr Vater
ist ein lokaler Boss innerhalb der Camorra, der neapolitanischen Mafia. Unter
Führung von Marias Bruder Gennaro gewinnt der Clan der Familie an Macht. Als
innerhalb der Camorra ein Richtungsstreit zwischen verschiedenen Gruppierungen
entbrennt, schmiedet Gennaro ein mächtiges Bündnis: die Alleanza di
Secondigilano. Stets an seiner Seite: Schwester Maria.
Eiskalt und dominant
Als Gennaro 1994 an einer Blutvergiftung stirbt, legt er die Führung des
Clans in die Hände seiner Schwester. Sie wird als eiskalt und dominant
beschrieben. Wenn sie einen Befehl erteilt, duldet sie keinen Widerspruch. Die
neue Patin macht sich daran, ein Imperium aufzubauen. Dabei beschränkt sie sich
nicht nur auf die typischen Mafia-Domänen wie Drogen- und Schutzgelderpressung.
Sie erschließt neue Geschäftsfelder wie Markenpiraterie, Abfall-Transport und
Waffenhandel.
Laut Aussagen von verhafteten Camorra-Mitgliedern
geschieht zu dieser Zeit nichts ohne Licciardis Zustimmung. Bei ihr laufen alle
Fäden zusammen. Sie „integriert“ weitere Familien in den Clan, in dem sie ihnen
Geld anbietet. Wer nicht kooperieren will, bekommt den Zorn von „Lady Camorra“
zu spüren. Ein Zeuge berichtet von blutverschmierten Tapeten in Licciardis Wohnung,
die ersetzt werden mussten.
„Lady Camorra“ ist extrem vorsichtig und lässt nur wenige Menschen an sich
heran, heißt es in „Die Stunde der Patinnen“. Ihr Ehemann genießt ihr volles
Vertrauen, doch die Rollen sind klar verteilt: Sie ist der Boss, er ihr
Finanzleiter. Mit Geld und Drohungen versucht sie zu verhindern, dass
verhaftete Mitglieder auspacken.
In den 90er-Jahren tobt ein brutaler Bandenkrieg zwischen Licciardis
Alleanza di Secondigliano und dem Clan Guiliano-Samo Misso. Hunderte Menschen
werden ermordet, am hellichten Tag schlagen Killerkommandos auf offener Straße
oder in Cafés zu. Immer wieder sterben auch unbeteiligte Bürger.
1997 wird Maria Licciardis Lieblingsneffe Vincenzo von einem
rivalisierenden Clan ermordet – angeblich aus Versehen. Der Zwanzigjährige trug
einen Mopedhelm. Es heißt, man habe ihn mit einem Killer verwechselt. Für die
Patin ist das ein schwerer Schlag. Sie hatte den Neffen als ihren Nachfolger
ausersehen.
Ihr brutaler Rachefeldzug
Sie beginnt einen brutalen Rachefeldzug. Die Familie verfasst eine Liste
mit allen Namen derer, die für den Mord an Vicenzo verantwortlich gemacht
werden. Die sogenannte „Liste der Auferstehung“ wird an die Tür der
Auferstehungskirche von Secondigliano geschlagen. Wer darauf steht, ist
aufgefordert, sich den Licciardis zu stellen. Innerhalb weniger Tage lässt
Maria 14 Menschen ermorden.
1998 wird ihr die
Gefahr, verhaftet zu werden, schließlich zu groß. Sie taucht unter. Doch nach
dem Tod ihres Neffen geht Licciardi noch erbarmungsloser vor als zuvor.
Ehemalige Mafiosi beschreiben sie als verhärtet. Sie soll die Frau eines
gegnerischen Bosses allein deshalb ermorden lassen haben, weil sie einen
heftigen Streit mit ihr hatte.
Nach ihrer Festnahme
2001 wird sie zu acht Jahren Haft verurteilt. Der italienische Staat schätzt
„Lady Camorra“ als so gefährlich ein, dass für sie als eine von wenigen Frauen
die verschärften Haftbedingungen für Mafia-Angehörige gelten: Sie wird beinahe
völlig isoliert, damit sie ihre Geschäfte nicht aus dem Gefängnis heraus
weiterführen kann. Inzwischen jedoch ist Licciardi wieder auf freiem Fuß.
http://www.focus.de/panorama/welt/serie-mafia-patinnen-teil-1-14-morde-in-wenigen-tagen-der-blutige-rachefeldzug-von-lady-camorra_id_4225629.html
http://www.focus.de/panorama/welt/serie-mafia-patinnen-teil-1-14-morde-in-wenigen-tagen-der-blutige-rachefeldzug-von-lady-camorra_id_4225629.html
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