Von Julius
Müller-Meiningen
Der Geistliche
Luigi Ciotti gilt als Italiens am meisten gefährdete Person. Er sieht sich als
Kämpfer gegen das Böse - und er weiß, wie man dem organisierten Verbrechen
wehtut.
Mit seinem grauen Haar und seiner
lauten, unerschütterlich klingenden Stimme ginge Luigi Ciotti auch als Polizist
durch, als Staatsanwalt oder Richter. Einige Beamte in Zivil sind immer in
seiner Nähe, sie suchen jeden Raum, den der große Mann betritt, nach Gefahren
ab. Ciotti gilt als Italiens meist gefährdete Person. Mehreren
Staatsanwaltschaften liegen Hinweise auf ein Attentat gegen den 69-Jährigen
vor. Die italienische Mafia hat den katholischen Priester im Visier.
Ciotti sieht sich als
Kämpfer gegen das Böse
Bei seinen öffentlichen Auftritten
erscheint Don Ciotti meist in hellblauem Hemd und dunklem Baumwollpullover.
Einen Priesterkragen trägt er nicht. Ciotti hat wenig übrig für Symbole, er
empfindet sich vielmehr als tatkräftigen Kämpfer gegen das Böse. „Libera“
(„Frei“) hat er den von ihm bereits 1995 gegründeten Verein genannt, in dem
sich heute hunderte Italiener gegen die in Italien tief verwurzelten
kriminellen Organisationen engagieren. „Wenn die Mafia nur ein kriminelles
Problem wäre, würden Polizei und Staatsanwaltschaft zu ihrer Bekämpfung
ausreichen“, sagt Ciotti mit der Stimme eines Predigers. Er sieht ebenso die
Zivilgesellschaft in der Pflicht. Dass Cosa Nostra, ’Ndrangheta und Camorra
schon so lange Erfolg hätten, sei vor allem ein kulturelles Problem.
Ciotti ist das Aushängeschild und
Sprachrohr von Libera. Ursprünglich verstand sich der Verein als
Interessenvertretung für die bis heute rund 3500 Mafia-Opfer in Italien. Heute
verwaltet der Verein rund 450 der vom Staat konfiszierten Mafia-Güter. Auf
einigen Ländereien der Bosse werden heute Produkte wie Olivenöl, Wein oder
Pasta erzeugt und teilweise sogar außerhalb Italiens unter dem Label „Libera
Terra“ verkauft. Viele Jugendliche nehmen an den Sommercamps der Organisation
teil. „Wenn ein Boss die Kontrolle über sein Territorium verliert, treibt ihn
das zum Wahnsinn“, erklärt Don Ciotti. Es ist das Erfolgsrezept von Libera. Die
Organisation ist Bossen deshalb aber auch ein Dorn im Auge.
Verbrecherorganisationen
ächten ihn
Der Priester reist beinahe täglich vom
italienischen Norden in den Süden. „Die Mafia hat ihre Wurzeln im Süden, erntet
aber im Norden“, sagt Ciotti über die bis nach Nordeuropa verzweigten
Geschäftswege der Bosse. Er kann sich schon lange nicht mehr unbewacht oder gar
spontan durch sein Heimatland bewegen. Wenn er öffentlich auftritt, wird der
Ort vorher mehrmals inspiziert, um Bombenanschläge zu verhindern.
Zuletzt war es Toto Riina, der seit 1993
inhaftierte Superboss der sizilianischen Cosa Nostra, der den einflussreichen
Priester ächtete. In abgehörten Gesprächen mit einem Mithäftling ließ sich
Riina über Ciotti aus, nannte ihn „niederträchtig“ und „feige“ und forderte
seinen Tod. Staatsanwälte in Ciottis Heimat Turin sowie in Palermo und
Caltanissetta haben offenbar konkrete Hinweise auf ein Attentat. Bewegt sich
Ciotti auf Sizilien, wird sein Personenschutz verdoppelt.
Ciotti fordert ein effektives
Anti-Korruptionsgesetz in Italien. „Auch die Kirche muss mutiger sein“, sagt er
und lobt Papst Franziskus für seinen Kurs. Furchtlose Priester hat es schon vor
ihm gegeben. Pino Puglisi und Giuseppe Diana wurden Anfang der 90er Jahre wegen
ihres Engagements gegen die Mafia ermordet.
Don Ciotti sagt über die Bedrohung: „Sie können auch das Leben einer einzigen Person auslöschen, aber mit Libera ist ein ganzer Kosmos entstanden, der nicht mehr so leicht zu besiegen ist.“
Don Ciotti sagt über die Bedrohung: „Sie können auch das Leben einer einzigen Person auslöschen, aber mit Libera ist ein ganzer Kosmos entstanden, der nicht mehr so leicht zu besiegen ist.“
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