Die Journalistin Petra Reski, kommentiert den
Kokainskandal bei der Kemptener Polizei. Dass der Fund von 1,6 Kilogramm der
Droge etwas mit der „ehrenwerten Gesellschaft“ zu tun hat, würde sie nach 25
Jahren der Recherche keinesfalls überraschen. Nach ihren Erkenntnissen ist die
Mafiaorganisation ‘Ndrangheta seit über 40 Jahren in Deutschland aktiv „wo sie
auch im Allgäu feste Strukturen bildete, die unter anderem den Kokainhandel
kontrollieren“.
Staatsanwalt Nicolo Gratieri weiß, dass die 'Ndrangheta Deutschland längst unterwandert hat. |
Zum Fall in Kempten sagt sie weiter: „Angesichts der
Tatsache, dass die ’Ndrangheta weltweit den Handel mit Kokain kontrolliert, ist
die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass diese Organisation auch Lieferant der
bei dem Polizisten entdeckten 1,6 Kilo ist.“ Die ‘Ndrangheta – das Wort leitet
sich wohl aus einem urtümlichen Dialekt ab und bedeutet etwa „gute Männer“ oder
„Helden“ – hat ihre Wurzeln in Kalabrien, an der Stiefelspitze der
italienischen Halbinsel. Anders als bei anderen Mafia-Organisationen basiert
die Mitgliedschaft in der ‘Ndrangheta stark auf Blutsverwandtschaft. Die Gruppe
ist in einzelnen Clans organisiert, der Zusammenhalt stark.
Überdies könne die ‘Ndrangheta, anders als alle anderen italienischen Mafiaorganisationen, Clans auch im Ausland bilden: „Zellen, die autonom handeln und nicht von Befehlen im Mutterland abhängen.“ Ebenfalls im Allgäu präsent seien sowohl die Cosa Nostra aus Sizilien, die im Gefolge von Gastarbeitern in der Textilindustrie nach Kempten und Umgebung kam, als auch die kampanische Camorra.
Dass sich diese verschiedenen Mafia-Organisationen
bekämpfen, sei in der Regel falsch, sagt Reski. Es gebe sogar eine Art
Arbeitsteilung: „Die ‘Ndrangheta kontrolliert den Handel mit Kokain in ganz
Europa und überlässt den Einzelverkauf gelegentlich anderen
Mafiaorganisationen. Die Camorra ist unter anderem Spezialist für die
Herstellung von Falschgeld.“
Die Autorin ist sich sicher, dass das Allgäu die
‘Ndrangheta anfangs wegen seiner Grenznähe angezogen hat. Stützpunkte in
Kempten und Umgebung, etwa Pizzerien, wirken nach ihren Angaben als
„Relaisstationen“, über die Drogen, Waffen und Geld umgeschlagen werden. Reski
nennt Deutschland ein „Geldwäscheparadies“. Während Geschäftsleute in Italien
den Behörden die Herkunft ihrer Vermögen nachweisen müssten, werde diesseits
der Alpen nicht so genau nachgefragt.
Geldwäsche
„Wenn etwa ein 18-jähriger Italiener in Deutschland
100 000 Euro in eine Pizzeria investiert, müssen sich die deutschen Behörden
mit der Auskunft begnügen, das Geld habe er von einem Onkel in Italien
bekommen.“ Die Beweislast, dass es sich um sauberes Geld handelt, liege in
Deutschland bei den Behörden – in Italien beim Investor. Deshalb investiere die
Mafia schmutzige Millionen seit Jahrzehnten besonders gerne in deutsche Immobilien,
Firmen und Energieanlagen, um am Ende saubere, legale Gewinne einzustreichen.
„Die Mafiosi laufen nicht mit der Maschinenpistole
durch die Gegend, es ist die vornehmste Eigenschaft der Mafia, gerade nicht
aufzufallen.“ Aufsehenerregende Zwischenfälle, wie der Sechsfachmord von
Duisburg 2010, blutiger Höhepunkt einer Fehde zwischen zwei ‘Ndrangheta-Clans,
seien in Deutschland die absolute Ausnahme.
Es geht nicht nur um
Kokain
Ob der große Kokainfund bei der Kemptener Polizei
einen Mafia-Bezug aufweist, werde sich erweisen. Ungeachtet dessen steht für
Petra Reski fest: „Der Kokainhandel im Allgäu ist in der Hand der ‘Ndrangheta,
die auch mit anderen Banden kooperiert. Dass die Mafia auch Polizisten kauft
oder erpresst, dafür gibt es genügend Beispiele.“ Das Vorgehen erfolge immer
nach demselben Muster: „Hat einer Schulden? Oder eine Affäre, die nicht sein
darf? Die Mafiosi riechen die Schwächen der Menschen wie Haifische das Blut und
beißen dann zu“, sagt Reski.
Nach ihren Erkenntnissen versucht die Mafia, auch
andere Staatsorgane zu unterwandern. Etwa Stellen, die mit Baugenehmigungen
oder öffentlichen Ausschreibungen zu tun haben. Dazu zitiert Reski den
Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri aus Kalabrien: „Ist den Deutschen klar,
dass die ‘Ndrangheta die Verwaltung unterwandert, die lokalen Behörden
infiltriert, um den Markt zu beherrschen?“
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