Freitag, 7. März 2014

Clans beherrschen Drogen-Handel im Allgäu

siehe auch Vorberichte...

Zwei Wochen schon sitzt ein ranghoher Drogenfahnder aus Kempten in U-Haft. Er besaß Kokain - und könnte auf der Gehaltsliste der Ndrangheta gestanden haben. Das Allgäu gilt als Zentrum der Mafia.

1,6 Kilo Kokain reichen für 5000 bis 8000 Einzelportionen beim Konsumenten. Dass der Leiter des Kemptener Drogendezernats, der derzeit in Untersuchungshaft in Stadelheim sitzt, diese Menge für sich selbst verwenden wollte, glaubt keiner der Ermittler. Das Kokain war im Spind am Arbeitsplatz des 52-jährigen Ersten Kriminalhauptkommissars entdeckt worden, nachdem er vor rund zwei Wochen unter Drogen seine Frau zusammengeschlagen hatte und die Polizei Ermittlungen wegen Körperverletzung aufnahm.

Ein schrecklicher Verdacht steht im Raum: Der Chefermittler könnte auf der Gehaltsliste der Ndrangheta gestanden haben, der kalabrischen Mafia, die seit langem im Allgäu ihr Unwesen treibt. Dafür haben sie bislang keine Anhaltspunkte gefunden, sagt Thomas Steinhaus-Koch, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft München I, die die Ermittlungen führt. Der 52-Jährige hat den Ermittlern Hinweise gegeben, woher er das Rauschgift angeblich hat. "Ob diese plausibel sind, muss erst noch überprüft werden." Sein Verteidiger Wilhelm Seitz weist Spekulationen über Mafia-Verstrickungen als Unfug zurück: "Da werden zeitliche und kausale Zusammenhänge verwechselt."

Das Allgäu ist seit den 60er Jahren Tummelplatz der Ndrangheta und auch der sizilianischen Camorra. Mit den vielen rechtschaffenen italienischen Gastarbeitern kamen damals auch Mitglieder der "Ehrenwerten Gesellschaft", wie die Mafia in Sizilien bezeichnet wird. Und weil sich Städte wie Kempten und Regionen wie das Allgäu dabei wiederum auf Menschen aus einer Stadt oder Region konzentrierten, in diesem Fall auf Kalabrien und Sizilien, entstand zwischen Oberstdorf und Memmingen ein bayernweiter Schwerpunkt der organisierten Kriminalität, der die Polizei seit den 80er Jahren in Atem hält, sagt der Kemptener Staatsanwalt Gunther Schatz.

Diese Situation hat sich bis heute nicht geändert, berichtet Ludwig Waldinger, Sprecher des Bayerischen LKA. Die Ermittler gehen davon aus, dass "eine niedrige zweistellige Zahl von Mitgliedern aus italienischen Mafia-Familien" im Allgäu und vor allem im Kemptener Raum lebt. "Die Szene ist permanent da", sagt Schatz. Die Ndrangheta gilt als eine der brutalsten Mafia-Organisationen. Ihr Schwerpunkt ist das Kokaingeschäft für ganz Europa. Und das Allgäu gilt als Drehscheibe. Sie haben laufend große Italo-Drogenverfahren, sagt Schatz.

Mafiosi schrieben im Allgäu Kriminalgeschichte und -geschichten: 1989 verhaften Ermittler des LKA in Kempten den Gemüsehändler Salvatore Salamone.

Er war der Kopf des Santangelo-Clans, ihm werden Morde in Sizilien, Schutzgelderpressung, Rauschgift- und Waffenhandel vorgeworfen. Danach berichtet das LKA erstmals davon, dass das Allgäu längst nicht mehr nur ein Rückzugsgebiet für jene Mafiosi ist, denen der Boden in Sizilien und Kalabrien zu heiß geworden ist. Plötzlich ist von einem europaweit arbeitenden Mafia-Zentrum für den Drogenhandel die Rede. Salamone wird 1991 nach Italien ausgeliefert und wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Der 37-jährige Pizzabäcker Vito di Stefano rückt nach, er wird zwei Jahre später wegen Erpressung, Geldfälschung - und natürlich Drogenhandels zu acht Jahren Haft verurteilt. Die Mitgliedschaft in der Mafia konnte nicht nachgewiesen werden, nach drei Jahren Haft in Deutschland wird er nach Italien abgeschoben. Di Stefano stammt aus dem Städtchen Adrano in der sizilianischen Provinz Catania, die bei den Ermittlern den Beinamen "Todesdreieck" trägt, seit dort in nur drei Jahren 363 Mafia-Morde registriert wurden.

Der größte Schlag gegen die Allgäu-Mafia aber gelingt den Ermittlern 1998: Sie verhaftete den Profi-Killer Giorgio Basile, der selbst nach Kempten angereist war, um Geld zu kassieren. Die Polizei hatte einen Tipp erhalten. Basile räumte bei Vernehmungen 30 Morde für die Ndrangheta ein und packte aus. Er ist einer der wenigen, die umfangreich gegen die Omertà, das Schweigegelübde, verstoßen. Bis zu knapp 80 Mafiosi zwischen Allgäu und Ruhrpott werden überführt. Basile wird in Italien in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, er lebt noch heute unter neuer Identität an einem geheimen Ort. Irgendwann werden sie ihn finden und töten, sagte er in einem Fernsehinterview: "Gott vergibt, die Mafia nie."

2008 wird in Sonthofen die Pizzeria "Vulcano" ausgehoben. Sie diente als Drogendrehscheibe zwischen Italien und Belgien. Als die Fahnder anrücken, sind die beiden Hauptverdächtigen bereits weg. Sie werden in Italien gefasst, ausgeliefert und zu Freiheitsstrafen von fünf und sechs Jahren verurteilt.

Damals war der Chef der Kemptener Drogenfahndung bereits im Amt und die Ermittler fragen sich heute, ob er derjenige gewesen sein könnte, der die beiden warnte. Beweise gibt es nicht. Dass die Mafia versuchte, Informanten in der Kripo zu finden, ist spätestens klar, seit der Santangelo-Clan in den 90er Jahren eine Frau als Schreibkraft einschleusen wollte, sagt Staatsanwalt Schatz. Der Coup flog vorzeitig auf. Fahnder behaupten: Wenn der Vorwurf der Mafia-Verstrickung des obersten Kemptener Drogenfahnders stimmt, ist er nicht alleine tätig gewesen. Wenn.


Die Mafia im Allgäu aber ist Realität, ihre Geschäfte haben sich weiterentwickelt. Das letzte Strafverfahren wegen Schutzgelderpressung lief Mitte der 90er Jahre. Sie bekommen zwar immer wieder Hinweise, dass auch heute noch gezahlt wird, aber es gibt keine konkreten Fälle. Alles schweigt und zahlt, sagt Schatz. Zum Rauschgift, Falschgeld und dem illegalen Waffenhandel kam inzwischen Wirtschaftskriminalität hinzu. Gewinne aus Italien werden im Allgäu investiert, so wird schmutziges Geld gewaschen.

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