siehe auch Vorberichte...
Zwei Wochen
schon sitzt ein ranghoher Drogenfahnder aus Kempten in U-Haft. Er besaß Kokain
- und könnte auf der Gehaltsliste der Ndrangheta gestanden haben. Das Allgäu
gilt als Zentrum der Mafia.
1,6 Kilo Kokain reichen für 5000 bis 8000
Einzelportionen beim Konsumenten. Dass der Leiter des Kemptener
Drogendezernats, der derzeit in Untersuchungshaft in Stadelheim sitzt, diese
Menge für sich selbst verwenden wollte, glaubt keiner der Ermittler. Das Kokain
war im Spind am Arbeitsplatz des 52-jährigen Ersten Kriminalhauptkommissars
entdeckt worden, nachdem er vor rund zwei Wochen unter Drogen seine Frau
zusammengeschlagen hatte und die Polizei Ermittlungen wegen Körperverletzung
aufnahm.
Ein
schrecklicher Verdacht steht im Raum: Der Chefermittler könnte auf der
Gehaltsliste der Ndrangheta gestanden haben, der kalabrischen Mafia, die seit
langem im Allgäu ihr Unwesen treibt. Dafür haben sie bislang keine
Anhaltspunkte gefunden, sagt Thomas Steinhaus-Koch, Pressesprecher der
Staatsanwaltschaft München I, die die Ermittlungen führt. Der 52-Jährige hat
den Ermittlern Hinweise gegeben, woher er das Rauschgift angeblich hat.
"Ob diese plausibel sind, muss erst noch überprüft werden." Sein
Verteidiger Wilhelm Seitz weist Spekulationen über Mafia-Verstrickungen als
Unfug zurück: "Da werden zeitliche und kausale Zusammenhänge
verwechselt."
Das
Allgäu ist seit den 60er Jahren Tummelplatz der Ndrangheta und auch der
sizilianischen Camorra. Mit den vielen rechtschaffenen italienischen
Gastarbeitern kamen damals auch Mitglieder der "Ehrenwerten
Gesellschaft", wie die Mafia in Sizilien bezeichnet wird. Und weil sich
Städte wie Kempten und Regionen wie das Allgäu dabei wiederum auf Menschen aus einer
Stadt oder Region konzentrierten, in diesem Fall auf Kalabrien und Sizilien,
entstand zwischen Oberstdorf und Memmingen ein bayernweiter Schwerpunkt der
organisierten Kriminalität, der die Polizei seit den 80er Jahren in Atem hält,
sagt der Kemptener Staatsanwalt Gunther Schatz.
Diese
Situation hat sich bis heute nicht geändert, berichtet Ludwig Waldinger,
Sprecher des Bayerischen LKA. Die Ermittler gehen davon aus, dass "eine
niedrige zweistellige Zahl von Mitgliedern aus italienischen
Mafia-Familien" im Allgäu und vor allem im Kemptener Raum lebt. "Die
Szene ist permanent da", sagt Schatz. Die Ndrangheta gilt als eine der
brutalsten Mafia-Organisationen. Ihr Schwerpunkt ist das Kokaingeschäft für
ganz Europa. Und das Allgäu gilt als Drehscheibe. Sie haben laufend große
Italo-Drogenverfahren, sagt Schatz.
Mafiosi
schrieben im Allgäu Kriminalgeschichte und -geschichten: 1989 verhaften
Ermittler des LKA in Kempten den Gemüsehändler Salvatore Salamone.
Er war der Kopf des Santangelo-Clans, ihm
werden Morde in Sizilien, Schutzgelderpressung, Rauschgift- und Waffenhandel
vorgeworfen. Danach berichtet das LKA erstmals davon, dass das Allgäu längst
nicht mehr nur ein Rückzugsgebiet für jene Mafiosi ist, denen der Boden in
Sizilien und Kalabrien zu heiß geworden ist. Plötzlich ist von einem europaweit
arbeitenden Mafia-Zentrum für den Drogenhandel die Rede. Salamone wird 1991
nach Italien ausgeliefert und wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft
verurteilt. Der 37-jährige Pizzabäcker Vito di Stefano rückt nach, er wird zwei
Jahre später wegen Erpressung, Geldfälschung - und natürlich Drogenhandels zu
acht Jahren Haft verurteilt. Die Mitgliedschaft in der Mafia konnte nicht
nachgewiesen werden, nach drei Jahren Haft in Deutschland wird er nach Italien
abgeschoben. Di Stefano stammt aus dem Städtchen Adrano in der sizilianischen
Provinz Catania, die bei den Ermittlern den Beinamen "Todesdreieck"
trägt, seit dort in nur drei Jahren 363 Mafia-Morde registriert wurden.
Der
größte Schlag gegen die Allgäu-Mafia aber gelingt den Ermittlern 1998: Sie
verhaftete den Profi-Killer Giorgio Basile, der selbst nach Kempten angereist
war, um Geld zu kassieren. Die Polizei hatte einen Tipp erhalten. Basile räumte
bei Vernehmungen 30 Morde für die Ndrangheta ein und packte aus. Er ist einer
der wenigen, die umfangreich gegen die Omertà, das Schweigegelübde, verstoßen.
Bis zu knapp 80 Mafiosi zwischen Allgäu und Ruhrpott werden überführt. Basile
wird in Italien in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen, er lebt noch heute
unter neuer Identität an einem geheimen Ort. Irgendwann werden sie ihn finden
und töten, sagte er in einem Fernsehinterview: "Gott vergibt, die Mafia
nie."
2008
wird in Sonthofen die Pizzeria "Vulcano" ausgehoben. Sie diente als
Drogendrehscheibe zwischen Italien und Belgien. Als die Fahnder anrücken, sind
die beiden Hauptverdächtigen bereits weg. Sie werden in Italien gefasst,
ausgeliefert und zu Freiheitsstrafen von fünf und sechs Jahren verurteilt.
Damals
war der Chef der Kemptener Drogenfahndung bereits im Amt und die Ermittler
fragen sich heute, ob er derjenige gewesen sein könnte, der die beiden warnte.
Beweise gibt es nicht. Dass die Mafia versuchte, Informanten in der Kripo zu
finden, ist spätestens klar, seit der Santangelo-Clan in den 90er Jahren eine
Frau als Schreibkraft einschleusen wollte, sagt Staatsanwalt Schatz. Der Coup
flog vorzeitig auf. Fahnder behaupten: Wenn der Vorwurf der Mafia-Verstrickung
des obersten Kemptener Drogenfahnders stimmt, ist er nicht alleine tätig
gewesen. Wenn.
Die
Mafia im Allgäu aber ist Realität, ihre Geschäfte haben sich weiterentwickelt.
Das letzte Strafverfahren wegen Schutzgelderpressung lief Mitte der 90er Jahre.
Sie bekommen zwar immer wieder Hinweise, dass auch heute noch gezahlt wird,
aber es gibt keine konkreten Fälle. Alles schweigt und zahlt, sagt Schatz. Zum
Rauschgift, Falschgeld und dem illegalen Waffenhandel kam inzwischen
Wirtschaftskriminalität hinzu. Gewinne aus Italien werden im Allgäu investiert,
so wird schmutziges Geld gewaschen.
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