Ein Interview mit der berüchtigsten Mafia-Patin
Frauen machen bei der Mafia Karriere. Sie füllen die Lücken, die
geschnappte Gangsterbosse in der Welt des organisierten Verbrechens
hinterlassen.
Ein schnelles, fast
stimmloses Raunen. Blicke, Mimik und Gesten, kunstvolle Pausen: Wenn Giuseppina
Sansone einmal im Monat eine Stunde lang ihren Mann im Zuchthaus von Palermo
treffen durfte, in Anwesenheit von drei Wärtern und durch eine dicke
Glasscheibe getrennt, war klar zu erkennen, dass die beiden intensiv
kommunizierten. Zu verstehen war allerdings nichts.
Giuseppina Sansone |
Eine mühsame Analyse von
Videobildern, die eine versteckte Kamera von den Begegnungen aufzeichnete,
brachte für Experten schließlich Klarheit. Die beiden redeten übers Geschäft -
Drogen, Waffen, Erpressung, Mord. Ende Juli wurde Giuseppina, 43, als
"lady boss" verhaftet. Auch Maria Filippa Messina, 29, sprang für
ihren Mann ein, nachdem der ins Gefängnis gekommen war. Die Polizei hörte mit,
wie sie am Telefon knallhart Anweisung gab, Konkurrenten aus einem gegnerischen
Clan umzulegen.
Sie wurde festgenommen.
Weil sie aber aus ihrer Gefängniszelle ungeniert weiterregierte, ganz nach der
Art, wie es die Bosse der Mafia seit jeher getan haben, wurde im vergangenen
November Paragraph 41 bis auf sie angewendet - verschärfte Haftbedingungen, die
bisher nur den gefährlichsten Mafiosi vorbehalten waren. Nun lebt sie streng
isoliert, darf nicht telefonieren und nur einmal im Monat eine Stunde lang von
engsten Angehörigen besucht werden. Messina ist die erste Frau, die solch
hartem Regiment unterzogen wird.
Die Mafia, von der
Justiz heftig bedrängt, verändert sich. Frauen steigen auf in der Ehrenwerten
Gesellschaft, sie arbeiten als Bosse im örtlichen Rauschgifthandel, verwalten
kühl und kompetent Milliardensummen aus Drogen- und Waffengeschäften. 1990
wurde nur eine einzige Frau unter Anklage gestellt. 1995 waren es bereits 89.
Dabei galten die Ehefrauen, Schwestern und Töchter der Gangster in den späten
achtziger und den frühen neunziger Jahren eine zeitlang als Hoffnung der
aufkeimenden Anti-Mafia-Bewegung. Dass die "Frauen der Bosse die Mauern
der Mafia sprengen" könnten, so das enthusiastische Leitmotiv eines
Kongresses in Palermo, hat sich jedoch als Illusion erwiesen.
"Weibliche
Stimmen", schreibt die deutsche Soziologin Renate Siebert in einem gerade
erschienenen italienischen Bericht über "Mafia und Gesellschaft",
sichern "den Zusammenhalt der Clans". Frauen seien in vielen Fällen
die wahren Hardliner der Cosa Nostra geworden - sie sorgen dafür, dass die kriminellen
Organisationen weiterarbeiten, wenn die Polizei glaubt, die Hintermänner
dingfest gemacht zu haben.
Gnadenlos grenzen die
Signore oft diejenigen aus, die den Geheimbund verraten. Viele sagen sich
öffentlich los von Männern, Brüdern und Söhnen, die als "pentiti"
(Reuige) mit der Justiz zusammenarbeiten. Natürlich wollen sie sich damit auch
vor der Rache von Cosa Nostra schützen, die sich gern an der Familie von
Abtrünnigen vergreift. Zugleich handeln die Frauen aber oft aus tiefer Überzeugung.
Vincenzina Marchese
lebte jahrelang im hochgesicherten Versteck ihres Mannes Leoluca Bagarella,
einer der Top-Bosse von Cosa Nostra. Als Bagarella verhaftet wurde, fand man
von Vincenzina nur eine Fotografie mit einem Blumenstrauß davor - ein sicheres
Anzeichen dafür, dass sie tot war. Ermittler meinen, dass sie sich umbrachte,
um die Schande zu tilgen, die ein übergelaufener Bruder über die Familie ihres
Mannes gebracht hatte.
Leoluca Bagarella |
Francesca Di Matteo
opferte sogar ihren Sohn. Nachdem ihr Mann zum Verräter an der Mafia geworden
war, musste sie damit rechnen, dass der 11jährige Giuseppe zur Vergeltung
ausgesucht würde. Aber sie schützte das Kind nicht. Sie ließ den Jungen
weiterhin auf eine öffentliche Schule und regelmäßig zum Reiten gehen. So bot
sie ihn gleichsam als Sühneopfer dar - er wurde auch prompt entführt und nach
zwei Jahren elender Haft von seinen Kerkermeistern erdrosselt und in Salzsäure
aufgelöst. Die Mutter zeigte sich ungerührt. An einem Protestmarsch gegen den
barbarischen Mord nahm sie nicht teil.
Die Erziehung zu
perversen Mafia-Idealen, nach denen Mord zu einem gottesfürchtigen Werk werden
kann, für dessen Gelingen der Killer vorher betet und dem Allmächtigen
hinterher dankt, ist in den großen Familien immer Sache der Frauen gewesen. Und
dazu mussten sie meistens nicht gedrängt werden. So überreicht die Witwe eines
ermordeten Mafioso ihrem Sohn nach alter Sitte die blutige Jacke des Vaters.
Der weiß damit, dass er am Tag der Entlassung des Mörders vor dem Gefängnis zu
stehen hat, gekleidet in ebenjene blutige Jacke, um seinen Vater zu rächen -
ein gehorsamer Vollstrecker.
In die Irre geleitet von
einem traditionellen Frauenbild, nach dem insbesondere Mütter nichts anderes
sein könnten als herzensgute Menschen, hatte die italienische Justiz die Frauen
der Mafia lange genug für unfähig gehalten, in der Welt des Verbrechens zu
reüssieren. Die nutzten den Schutz dieses Vorurteils, um ihre Rolle in der
Organisation zu verschleiern.
"Sehen Sie mich an,
ich bin eine Frau, die liebt", rief Ninetta Bagarella, Verlobte des
obersten Mafia-Bosses Totò Riina, ihren Richtern zu. "Wollen Sie mich
dafür bestrafen?" Die Richter wollten nicht und ließen von ihrer Absicht
ab, Ninetta als Komplizin Riinas in die Verbannung zu schicken.
1982
standen Francesca Citarda und Anna Maria Di Bartolo in Palermo vor Gericht. Die Anklage hielt ihnen vor, gemeinsam mit ihren Männern Tarnfirmen zum
Zweck der Geldwäsche betrieben zu haben. Aber das Gericht traute ihnen solchen
Geschäftssinn nicht zu. Frauen aus Mafia-Familien seien der "unterwürfigen
und passiven Rolle noch nicht entkommen, die sie seit jeher im Verhältnis zu
ihren Männern" gehabt hätten, und "in der komplizierten Welt der
Finanzen" fänden sie sich nicht zurecht, so die Urteilsbegründung.
Solche Missachtung
weiblicher Fähigkeiten erregte in Italien lange nicht viel Aufsehen. Die
englische Journalistin Clare Longrigg dagegen war empört. Im "Namen der
Gleichbehandlung" machte sie sich auf, den Frauen der Mafia den
gebührenden Rang zu geben. "Ich wollte einfach nicht akzeptieren, dass
Frauen nicht schlau genug sein sollten, Verbrechen zu begehen, und dass Frauen
den Männern moralisch überlegen sein sollten."
Im Lauf ihrer Recherchen
entstand ein farbenfrohes Gruppenporträt von Damen, das die kriminelle
Persönlichkeit einer jeden angemessen zum Vorschein bringt.
Pupetta Maresca zum
Beispiel, eine Frau der Camorra in Neapel, hatte einen Sinn für dramatische
Präzision. Sie war seit 80 Tagen verheiratet und schwanger, als ihr Mann, ein
angesehener Boß, von einem Gegner erschossen wurde. Sie spürte den Mörder auf
und tötete ihn eigenhändig - genau 80 Tage nach dem Tod ihres Liebsten.
"Exakt so wollte ich es", sagte sie zu Clare Longrigg.
Rosetta Cutolo wiederum,
genannt die "Frau mit den Augen aus Eis", führte fast zwei Jahrzehnte
lang die Nuova Camorra Organizzata für ihren Bruder Raffaele, der eine
Haftstrafe verbüßt. Jede Woche brachte sie ihm einen Stapel schneeweißer,
frisch gewaschener Hemden in den Knast. Während der Begegnung notierte sie in
säuberlicher, winziger Schrift seine Aufträge.
Die Anordnungen hakte
Rosetta dann eisern ab, wobei es auch zu Todesfällen unter Angehörigen
konkurrierender Clans kam.
Mit ähnlicher Kompetenz
bewährt sich die wachsende Zahl von Mafia-Frauen, die jetzt in
Führungspositionen aufsteigen. Das hat nicht unbedingt mit Emanzipation zu tun,
sondern mit den verschärften Haftbedingungen für die großen Bosse, die nach den
Morden an den Mafia-Jägern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino eingeführt
wurden.
Ohne die Frauen der im
Gefängnis isolierten Mafiosi liefe das Geschäft nicht mehr, denn sie sind die
einzigen, die noch mit ihren Männern kommunizieren dürfen. Aber sie bleiben
Stellvertreterinnen, auch als Chefmanager. Die eigenständige Mafiosa, die auf
eigene Faust arbeitet, gibt es bisher kaum.
Emanuela Azzarelli, 27,
hat es wenigstens versucht. Sie führte schon als 15jährige eine Gang von
Jugendlichen im sizilianischen Gela an. Örtliche Mafiosi begannen, ihr Aufgaben
anzuvertrauen - etwa einen Sprengsatz in einem Geschäft zu legen, dessen
Besitzer sich der Schutzgeldzahlung widersetzt hatte.
Emanuela, heute in Haft,
bewies ein äußerst sensibles Ehrgefühl. In einem Roman, den die italienische
Journalistin Maria Rosa Cutrufelli um die Gestalt der Mafia-Emanze gesponnen
hatte, kam sie ihrer Meinung nach nicht gut genug weg. Emanuela erschien zur
Buchvorstellung und schlug die Autorin mit einem gekonnten Hieb nieder.
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