Mafiosi konnten offenbar tun, was sie wollten: Ein von der britischen Zeitung "The
Independent" enthüllter Geheimbericht aus dem Jahr 2003 offenbart eine
massive Infiltration des britischen Justizsystems und der Polizeibehörden.
Sie konnten den Zoll umgehen, Prozesse
beeinflussen und sich aus dem Gefängnis freikaufen: Weite Teile des britischen
Justizsystems waren von Kriminellen unterwandert.
In einer "Operation Tiberius"
genannten internen Untersuchung fanden Ermittler heraus, dass vor zehn Jahren die
Mafia in praktisch allen Zweigen der britischen Strafverfolgungsbehörden
Zuarbeiter platziert hatten. Sowohl der britische Zoll, der "Crown Prosecution
Service" (eine dem Parlament unterstellte Behörde zur Überwachung und
Unterstützung der Staatsanwaltschaft), die Polizei von London als auch die
oberste Strafvollzugsbehörde seien kompromittiert worden. Geschworene seien
gekauft oder bedroht worden, korrupte Zollbeamte im In- und Ausland hätten beim
Drogenschmuggel geholfen, es sei sogar möglich gewesen, sich wie bei einem
bekannten Brettspiel "Du-kommst-aus-dem Gefängnis-frei"-Karten zu
kaufen - für 50.000 Pfund (etwa 60.000 Euro) .
Unschätzbar schwerer
Schaden angerichtet
In dem Geheimbericht heißt es, es sei der
Polizei wegen der Unterwanderung des Justizsystems kaum möglich gewesen, die
Verbrecherorganisationen zu verfolgen, die inzwischen große Teile der
britischen Unterwelt kontrollierten. Der Tiberius-Bericht ist das Ergebnis
einer Analyse unterschiedlichster Geheimdienstquellen, auch flossen Berichte
von Undercover-Ermittlern und Erkenntnisse aus Justizakten ein. Sein
ungenannter Autor zieht ein verheerendes Fazit: "Es ist schwer
vorstellbar, dass größerer Schaden angerichtet werden könnte." Dessen
Ausmaß sei nicht abschätzbar, bevor nicht noch weitere Untersuchungen
angestellt würden, heißt es.
Ein Londoner Ermittler wird mit den Worten
zitiert, er habe das Gefühl, dass er zurzeit keinen Mordfall untersuchen könne,
ohne Angst zu haben, dass die Untersuchung kompromittiert würde. Diese Aussage
werfe ein Schlaglicht auf die Bedrohung, der das Justizsystem ausgesetzt sei.
Schon die Tatsache, dass keines der Verbrechersyndikate in den vergangenen fünf
Jahren aufgebracht worden sei, belege deren Effektivität.
Polizistensohn
als Folterknecht
Der Bericht geht auf einen Fall aus dem
Jahr 1998 ein, der die Verbrecherorganisation der Adams im Zentrum hatte. 1998
habe die britische Polizei es als Durchbruch gefeiert, Tommy Adams, einen ihrer
Köpfe, hinter Gitter gebracht zu haben. Tatsächlich, so analysiert
"Tiberius", sei Adams nur deshalb ins Gefängnis gekommen, weil seine
Brüder ihm eine Lektion erteilen wollten. Er hatte auf eigene Faust
Drogengeschäfte gemacht, ohne sich mit ihnen abzustimmen. Hätten sie es nur
gewollt, wäre ihr Bruder freigekommen.
In einem anderen Fall aus dem Jahr 2000
habe ein Polizeiinformant bei der Aufdeckung eines millionenschweren
Heroinschmuggels aus Italien geholfen. Der Deal ging allerdings schief und der
Informant landete in einem Keller und wurde gefoltert, wobei versucht worden
sei, ihm mit einer Gartenschere mehrere Finger abzuschneiden. Einem Kontaktmann
des Informanten seien mehrere Finger mit einer Machete abgehackt worden.
Der Täter sei der Sohn eines namentlich
bekannten Londoner Polizeibeamten gewesen, welcher mehrmals versucht habe, die
Ermittlungen in dem Drogenfall zu behindern. Zusätzlich habe dieser
Verbindungen zu einem anderen namentlich bekannten Polizisten im Londoner
Stadtteil Marylebone gehabt, der in organisierten Scheckbetrug verwickelt
gewesen sei. Keiner der drei Männer sei jemals angeklagt worden. Der später
verurteilte italienische Drogenhändler gab an, er sei ein Informant der
Zollbehörde gewesen. Ein in Zypern stationierter korrupter Zollbeamter habe bei
ihm Geld abgeschöpft.
Scotland Yard reagierte auf die
Enthüllungen mit der Ankündigung, dass man kein Verhalten seiner Beamten und Angestellten
tolerieren werde, das dazu geeignet sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die
Polizei zu untergraben. Man sei entschlossen, jede Form von Korruption mit
aller Härte zu verfolgen: "Alle solche Vorwürfe und Informationen werden
äußerst ernst genommen."
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