Kalabrien, das Land
zwischen Tyrrhenischem und Ionischem Meer, ist grün bis in den späten Oktober
hinein, wenn die Buchenwälder sich goldbraun färben. Bis zu 2 000 Meter hoch
erhebt sich das Gebirgsmassiv des Aspromonte, dessen Fuß ausgedehnte
Olivenhaine säumen. Die Häuser in dieser ärmsten und von der Zentralregierung
in Rom am meisten vernachlässigten Region Italiens sind erdbraun und staubgrau,
ihre Bewohner zurückhaltend. Der Kalabrier schweigt lieber. Auch aus Angst,
denn nirgendwo sonst in Italien wird das "Gesetz des Schweigens" so
brutal durchgesetzt wie hier. Kalabrien steckt fest im Griff der 'Ndrangheta,
der nach Expertenmeinung derzeit gefährlichsten Mafia-Organisation Europas.
Die Provinz im
äußersten Süden des italienischen Festlandes hat im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl
von zwei Millionen Menschen die höchste Kriminalitätsdichte des Landes und
liegt damit noch vor den Regionen Campanien und Sizilien, wo die anderen nicht
minder bekannten Mafia-Gruppen Camorra und Cosa Nostra herrschen. Allein in der
Gegend um die kalabrische Hafenstadt Locri wurden zwischen Oktober 2004 und
Frühjahr 2006 insgesamt 30 Mafia-Morde verübt. 2005 registrierte die Polizei in
ganz Kalabrien 323 "attentati" gegen Unternehmer, Kaufleute und
Kommunalbeamte. Gewinne aus dem Rauschgifthandel.
Mit ihrem brutalen
Vorgehen gegen Abtrünnige und Gegner, die sich dem stetig wachsenden Einfluss
der Mafia widersetzen wollen, sichert die 'Ndrangheta ihre wirtschaftliche
Prosperität. Jährlich macht die Organisation, der 157 Clans angehören, einen
Umsatz von geschätzten 30 bis 36 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das
Bruttosozialprodukt Kalabriens liegt bei jährlich 29 Milliarden Euro. An
Reingewinn streichen die Bosse der 'Ndrangheta jedes Jahr etwa 2,5 Milliarden
Euro ein.
Tropea, eine der Hochburgen der `Ndrangheta |
Damit ist die
kalabrische Mafia die reichste kriminelle Organisation Italiens. Gewaschen und
investiert werden die kriminellen Gewinne in zunehmendem Maße in Westeuropa,
vor allem auch in Deutschland. Mit dieser Diversifizierung ihrer
Vermögensanlagen minimiert die 'Ndrangheta die Gefahr, dass ihre Besitztümer
bei möglichen Strafverfahren beschlagnahmt werden könnten. Die Tatsache, dass
die 'Ndrangheta in den letzten Jahren zunehmend in Deutschland aktiv geworden
ist und hier zu Lande regelrechte Logistik-Stützpunkte eingerichtet hat, beunruhigt
die Behörden.
Zwar agieren die
kalabrischen Clans und die anderen italienischen Mafiagruppen in Deutschland
bislang weitgehend geräuschlos. Experten aber befürchten, dass blutige
Verteilungskämpfe wie sie derzeit in Neapel rivalisierende Camorra-Clans
ausfechten, auch nach Deutschland getragen werden können. Die derzeit größte
Gefahr für Deutschland und sein Wirtschafts- und Finanzgefüge droht nach
Einschätzung von Mafia-Experten von der kalabrischen 'Ndrangheta.
Der immense Reichtum
der Organisation rührt nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND)
vor allem aus dem Rauschgifthandel mit südamerikanischen Drogenkartellen her.
Beim Handel mit Kokain gilt die 'Ndrangheta mittlerweile als
"unangefochtener Weltmarktführer". Aus Rentabilitätsgründen habe sich
die Mafia-Organisation laut BND in den vergangenen Jahren jedoch auf den
europäischen Kokainmarkt konzentriert und sei taktische Bündnisse mit
kolumbianischen Kartellen eingegangen.
Inzwischen hat die Organisation bereits
eigene Koka-Anbauflächen in Peru und Bolivien aufgekauft. Mit ihrer
Vormachtstellung auf dem Rauschgiftmarkt sichert sich die 'Ndrangheta aber auch
politischen und gesellschaftlichen Einfluss in Italien. Wie der BND in seiner
Analyse schreibt, gebe es "Anzeichen, dass es der 'Ndrangheta gelungen
ist, über Kokainlieferungen an namhafte italienische Künstler und
Intellektuelle, aber auch an Parlamentarier in Rom, Kontakte bis ins Parlament
zu knüpfen".
Außerdem sei es
zumindest einzelnen Clans der kalabrischen Mafia im Laufe der letzten Jahre
"unbemerkt gelungen, in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens,
der Politik und Justiz sowie der Exekutive systematisch, flächendeckend und bis
in die obersten Ebenen der Verwaltung ihre Spitzel und Zuträger so zu positionieren,
dass sie jederzeit über den notwendigen Wissensvorsprung verfügen, den
Exekutivmaßnahmen des Staates präventiv begegnen zu können". Verbindungen
zur Politik sind europaweit geknüpft. Längst konstatierten politische Kreise in Italien dem
Bundesnachrichtendienst zufolge "eine neue, politische Dimension der
'Ndrangheta und eine Abkehr von traditionellen Mafia-typischen
Verhaltensmustern in Richtung auf eine koexistierende 'vierte Gewalt' im
Staate, mit der man sich, wie auch immer, zu arrangieren habe".
Der deutsche
Geheimdienst ist denn auch skeptisch, ob es Italien gelingen wird, das
Mafia-Problem in den Griff zu bekommen: "Es stellt sich die Frage, ob
wegen der mannigfachen Verbindungen zwischen Mafia und Politik der notwendige
Handlungsspielraum vorhanden ist, die Auswüchse der Organisierten Kriminalität
in Italien mit allen zur Verfügung stehenden und vorhandenen Mitteln zu
bekämpfen und auf Dauer zu beseitigen", heißt es in der BND-Analyse.
100 Milliarden Euro
Jahresumsatz ist eine katastrophale Kaptalmacht, mit der sogar Regierungen in
die Knie gezwungen werden. Der Süden Italiens wird von vier Mafia-Gruppierungen
beherrscht, die sich das Territorium aufgeteilt haben: Cosa Nostra in Sizilien,
'Ndrangheta in Kalabrien, Camorra in Kampanien und Sacra Corona Unita in
Apulien. Hinzu kommen noch einige mehr oder weniger selbstständige mafiöse Strukturen.
Offiziell wird der Gesamtumsatz aller italienischen Mafiaorganisationen mit 180
Milliarden Euro jährlich angegeben. Die einzelnen Gruppen halten eine straffe
Interessensabgrenzung und geografische Kompetenzaufteilung ein.
Das Ausmaß eines
geografischen Raumes, die sogenannte geometrische militärische Stärke, ist für
die jeweiligen Mafiaorganisationen ein wichtiger Parameter für ihre Effizienz.
Die 'Ndrangheta gilt als mächtigste und reichste Mafia-Organisation Italiens.
Ihr Name leitet sich aus dem kalabrischen Dialektwort 'Ndrino ("Mann mit
dem aufrechten Rücken, der sich nie beugt") ab. Die einzelnen Clans der
'Ndrangheta, die sogenannten Cosca (ital.: Artischocke), deren Zahl von
italienischen Behörden mit 157 angegeben wird, agieren zumeist autonom, aber
räumlich straff abgegrenzt voneinander. Im Unterschied zu den anderen
italienischen Mafia-Organisationen ist es der 'Ndrangheta in den letzten Jahren
gelungen, auch in Norditalien Dependancen zu errichten.
73 der 157 Clans der
'Ndrangheta sind international aktiv, viele sogar weltweit. Sie operieren außer
in Deutschland in der Schweiz, Frankreich und in fast allen Ländern Osteuropas
sowie in USA, Kanada und Australien. Nur ein ganz geringer Teil der kriminellen
Gewinne wird in Italien angelegt, das meiste Geld transferiert die 'Ndrangheta
in das übrige Europa.
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