Seit einem halben Jahrhundert spannt die Mafia ihre Fäden im
Allgäu. Gerade wurden beim Chef der Kemptener Drogenfahndung 1,6 Kilogramm
Kokain gefunden. Welche Rolle spielen Cosa Nostra und 'Ndrangheta zwischen
Oberstdorf und Memmingen? Eine Spurensuche.
Das Allgäu und die Mafia, diese pikante Konstellation flammt in den Medien immer
wieder auf. Auch jetzt, angesichts der Affäre um den festgenommenen Chef der Kemptener
Drogenfahndung, in dessen Schrank 1,6 Kilogramm reinstes Kokain gefunden wurden - und das nicht ohne Grund: Schon seit einem halben
Jahrhundert spannt die Mafia im Allgäu ihre Fäden, wie das Landeskriminalamt
bestätigt. Dies hat vor allem historische Ursachen. Mit dem Eintreffen der
italienischen Gastarbeiter in den 1950er-Jahren seien auch "kriminelle
mafiose Netzwerke importiert" worden, und diese Netzwerke bestehen
teilweise "bis heute" fort.
Erst
Ende Januar verurteilte das Landgericht Kempten den Italiener Agatino Puglisi. wegen Drogenhandels zu zwei
Jahren Haft. Kokain ist in Kempten leichter zu bekommen als Kaviar. Man muss
sich im Stadtzentrum nur ein wenig umschauen und umhören.
Agatino Puglisi |
Der nächste
Italo-Kokain-Prozess steht schon bevor, der Angeklagte Guiseppe A. gilt als
"größerer Fisch", wie der Kemptener Staatsanwalt Gunther Schatz sagt.
Die richtig fetten Fische zogen die Ermittler zwischen Bodensee und Forggensee
allerdings in den 1980er- und 1990er- Jahren an Land. 1989 verhafteten Fahnder des
Landeskriminalamts in Kempten den Gemüsehändler Salvatore Salamone, Kopf des
Mafia-Clans Santangelo, dem Tötungsdelikte in Sizilien und
Schutzgelderpressungen sowie Rauschgift- und Waffenhandel
vorgeworfen wurden.
Nach der Razzia
verkündete der Präsident des bayerischen Landeskriminalamts, Heinz Lenhard,
erstmals, dass das Allgäu längst nicht
mehr nur als Ruhe- und Rückzugsgebiet für jene Mafiosi diene, denen es in
Italien zu heiß geworden sei, sondern auch als Drehscheibe für den
mitteleuropäischen Drogenhandel. Die Nachricht sorgte für Aufsehen, dabei
hatten die Drogen- und Falschgeldhändler längst ihre unsichtbaren Netzwerke
gesponnen. 1991 wurde Salamone an Italien ausgeliefert
und wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Drogenhandel, Erpressung, Geldfälschung
Aber immer, wenn ein großer Fisch weg
ist, schlüpft der nächste in dessen Rolle. 1992 fasste die Polizei
Salamones Nachfolger Vito di Stefano. Die Anklagepunkte gegen den 37-jährigen
Memminger Pizzabäcker klangen bekannt: Drogenhandel, Erpressung, Geldfälschung.
Er wurde 1993 zu acht Jahren Haft verurteilt. Aber die
Mitgliedschaft in einer organisierten Verbrecherbande konnte ihm nicht
nachgewiesen werden. Nach nur drei Jahren wurde er 1996 wieder entlassen
und nach Italien abgeschoben - wegen guter Führung.
Salavtore Salamone |
Nur ein Jahr später wurde vor dem
Neu-Ulmer Landratsamt Pietro Branchina festgenommen. Der Tipp kam von der
italienischen Justiz, die bereits seine Auslieferung beantragt hatte. Der
37-Jährige stammte, wie Vito di Stefano, aus dem Örtchen Adrano in der
sizilianischen Provinz Catania. Seitdem es dort innerhalb von drei Jahren 363 Mafia-Morde
gegeben hat, wird die Region "Todesdreieck" genannt. "In
Salzsäure auflösen oder einbetonieren, das sind dort gängige
Mordmethoden", sagte ein LKA-Experte am Rande der Prozesse.
Und
weiter ging es im Wettrennen gegen die Mafia-Clans: 1998 verhaftete die Polizei in Kempten den Profikiller Giorgio Basile, er
soll für die kalabrische 'Ndrangheta bis zu 30 Auftragsmorde
verübt haben. Er trägt den Spitznamen "Engelsgesicht". Bald darauf packte
er aus und wurde zum ersten Kronzeugen gegen die Mafia auf deutschem Boden.
Profikiller Giorgio Basile |
Die Quelle ist die ‚Ndrangheta
Im Jahr 2000 wurde Armin N. Chef der Drogenfahndung
in Kempten. Das ist jener Mann, der im Februar 2014 seine Ehefrau krankenhausreif schlug
und wegen Drogenbesitzes festgenommen wurde. In den Jahren nach seiner
Amtsübernahme wurde es ruhiger um die Allgäu-Mafia. Bis zur Razzia 2008 in der Pizzeria Vulcano in Sonthofen,
die der Mafia als Drogen-Drehscheibe zwischen Italien und Belgien diente.
Allerdings hatten sich zwei Hauptverdächtige kurz vor der Razzia nach Italien
abgesetzt. Wurden sie gewarnt? Das LKA wird nun auch diese Frage
prüfen müssen.
Immerhin
wurden die zwei wenig später in ihrer italienischen Heimat verhaftet und
ausgeliefert. Sie bekamen fünf und sechs Jahre Haft aufgebrummt. Und wie ist
die Lage heute? Staatsanwalt Gunther Schatz bestätigt einerseits, er habe
"permanent" mit italienischen Drogenhändlern zu tun. Andererseits
gebe es aber auch Banden, die ihre Wurzeln woanders haben - zum Beispiel in den
ehemaligen Sowjetrepubliken. Im Allgäu mordet
die Mafia nicht. Die Täter ziehen es vor, ihre Opfer in die Heimat zu locken.
Aber alle anderen Straftaten finden statt. Auch Schutzgelderpressung - bis
heute. Wie viele Wirte betroffen sind, weiß niemand. "Wir haben immer
wieder Anhaltspunkte", sagt Schatz, "aber das wurde nie
beweiskräftig." Das Problem: Die Opfer haben zu viel Angst,
um auszusagen.
Vito di Stefano |
Doch längst zeigt sich,
dass die Mafia es nicht mehr bei Landsleuten belässt. Schatz bestätigt, dass
sie in den 1990er-Jahren die Staatsanwaltschaft Kempten unterwandern
wollte. Der Santangelo-Clan hatte versucht, eine Schreibkraft als Spionin
einzuschleusen. Die Sache wurde im letzten Moment entdeckt. Damals scheiterte
die Mafia noch, aber nun wird die bange Frage laut, ob sie den obersten
Drogenfahnder des Allgäus auf ihre Seite ziehen konnte.
Zu diesem Fall darf
Schatz nichts sagen. Er verweist auf die ermittelnde Staatsanwaltschaft München
I. Die bestätigt nur, dass sie gegen einen Polizisten wegen Drogendelikten
ermittelt. Auf die Frage, ob es auch um Mitgliedschaft in einer kriminellen
Vereinigung geht, lautet die Antwort: "Wir schauen uns den Fall in der
Gesamtheit an." Ende der Auskunft. Wie lange die Ermittlungen dauern,
weiß niemand.
Bislang
gilt die Unschuldsvermutung, aber ein gewisser Verdacht gegen Armin N. steht im
Raum, solange unklar ist, woher der Festgenommene die Drogen hatte. Der
Mafia-Experte Claudio Michele Mancini sagte im Bayerischen Fernsehen: "Wer 1,6 Kilo Kokain hat, muss
ganz nah an der Quelle sein. Und diese Quelle ist die 'Ndrangheta."
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