In Pompeji haben Diebe ein antikes Fresko geraubt.
Dass der Diebstahl erst Tage später auffiel, ist symptomatisch für den Umgang
mit dem Weltkulturerbe. Die Camorra zieht die Fäden.
Wieder einmal geht ein Schrei der Empörung durch
Italien, wieder ist von nationaler Schande die Rede, wieder geht es um Pompeji
– und wieder wird der Sturm der Entrüstung wohl nach wenigen Tagen abflauen.
Die größte antike Ausgrabungsstätte der Welt, die Zeitkapsel, in der die Kultur
unserer Vorfahren bewahrt ist, wird inmitten unserer alles und jeden
überwachenden Computerwelt weiter verfallen und weiter geplündert.
Diesmal ist es der Raub eines Freskos, dem die kollektive Entrüstung
gilt: Vor einer Woche frästen, wie erst jetzt bekannt wurde, Diebe in der „Casa
di Nettuno“, einem Stadtpalast Pompejis, die Darstellung einer Artemis aus
einem Wandgemälde, das sie und ihren Zwillingsbruder Apollon zeigt. Genauer:
Man hat ein etwa 20 mal 20 Zentimeter großes Teilstück mit dem Profil und dem
Oberkörper der thronenden Göttin entfernt – gut geeignet, als hübsches
Brustbild höchstbietend verhökert zu werden.
Es ist, so erste Untersuchungen, sicher, dass Profis am Werk waren.
Somit ist auch ziemlich sicher, dass die geraubte Artemis vor ihrem heimlichen
Verkauf bestens restauriert wird. Was sie auch nötig hat: Das Fresko der
göttlichen Geschwister war in verheerendem Zustand, von Schlieren überzogen,
von Wind und Wetter bis an die Grenze der Unkenntlichkeit gebleicht. Dasselbe
gilt für alle Fresken und Mosaike der „Casa di Nettuno“ – und für das Viertel,
das sie umgibt.
Vernachlässigte Schätze der
Ausgrabungsstätte
Geprägt von eleganten Villen des antiken Stadtpatriziats, war es schon im
neunzehnten Jahrhundert freigelegt und sich selbst überlassen worden. Mit den
absehbaren Folgen: In den letzten dreißig Jahren sind dort immer wieder
Stuckdecken und Gewölbe eingebrochen, gingen Fresken durch Verwittern und
Vermoosung verloren, barsten kostbare Mosaike, knickten Säulen unter dem
Gewicht unsachgemäß eingezogener Betonstreben und Eisenträger.
Das alles geschah fast unbemerkt. Erst seit drei Jahren, als die in jedem
Herbst und Frühjahr auftretenden Wolkenbrüche Kampaniens Bauten in den
Hauptstraßen Pompejis einstürzen ließen, wurde aus dem heimlichen ein offener
Skandal. Doch er blieb ohne Wirkung: Dass ein Wächter den Diebstahl erst nach
Tagen bemerkte, liegt an der notorischen Unterbesetzung und daran, dass
Pompejis Ruinen auch nach 2013, als 105 Millionen Euro Nothilfe (davon 40
Millionen seitens der EU) eingetroffen waren, überwiegend unbehandelt blieben.
Selbst unterbrochene Rettungsaktionen wie das Freilegen der herrlichen
Bodenmosaike in der „Casa del Labirinto“, die unter einer geborstenen
Betondecke verschwunden waren, oder das Wiederherstellen eines Tonnengewölbes
der „Casa di Nozze d’Argento“, einer prächtigen antiken Stadtresidenz, wurden
nicht wiederaufgenommen.
Camorra verhindert Reformen
Im Gegenteil: Kurz vor dem Artemis-Raub stürzte eine erst kürzlich
restaurierte „Taberna“, eine antike „Eckkneipe“, ein. Wie auch anders, wenn
seit der Pensionierung des Soprintendenten Pietro Giovanni Guzzo, der von 1994
bis 2009 die Missstände angegangen war, ein halbes Dutzend Leiter und
Leiterinnen verschlissen wurde!
Alle haben tatenlos zugesehen, wie Guzzos Reformen versickerten, und
hielten still, als Pompeji wieder zur Beute kommerzieller Interessen absank:
Dass man das antike Theater mit Beton für Freilichtkonzerte zurechtschusterte,
Plätze und Straßen von Kabeln und Leuchtern starren, die Pompeji in
Sommernächten zur magischen Kulisse teurer Sonderführungen machen, und dass
seit fünfundvierzig Jahren Pompejis Museum wegen Renovierung geschlossen ist –
all dies ist ein Werk der Camorra, des neapolitanischen Zweigs der Mafia.
Dass sie, und nicht die Soprintendenza oder Rom
regelt, wann und wo in Pompeji restauriert oder gegraben wird, dass die Camorra
Guzzo Morddrohungen sandte, als er sich zu reformfreudig zeigte, und dass ohne
ihr Wissen kein Kunstraub vonstattengeht, ist ein offenes Geheimnis. So ist
derzeit nur auf eines Verlass: dass Italiens neuer Ministerpräsident Matteo
Renzi radikale Reformen durchführen will – und dass in Pompeji wohl ein neuer
Soprintendente auftauchen und der Raub der Artemis nicht der letzte sein wird.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen