Eine mexikanische
Zeitung erhebt schwere Vorwürfe gegen die US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA:
Deren Fahnder sollen mit dem berüchtigten Sinaloa-Kartell zusammengearbeitet
haben. Für Informationen über rivalisierende Mafia-Gruppen boten sie angeblich
Straffreiheit an.
US-Ministerien und Regierungsbehörden
haben im Kampf gegen die Drogenmafia laut einem Zeitungsbericht zu fragwürdigen
Methoden gegriffen. Recherchen des mexikanischen "El Universal"
zufolge sollen sie mehrere Jahre lang gemeinsame Sache mit dem größten und
mächtigsten Drogenkartell gemacht haben, um so an Informationen über
rivalisierende Mafia-Gruppen zu gelangen.
Die Zeitung berichtet in einem zehn Seiten
langen Artikel von Anfang Januar detailliert darüber, wie sich von 2000 bis
2012 Mitarbeiter der amerikanischen Anti-Drogen-Behörde DEA und des
US-Justizministeriums mehrfach mit hochrangigen Mitgliedern des
Sinaloa-Kartells getroffen hätten. Im Gegenzug für Informationen über die
konkurrierenden Kartelle stellten die Agenten und Regierungsbeamte
Straferleichterungen oder das Fallenlassen von Anklagen gegen Informanten in
den Vereinigten Staaten in Aussicht.
Die DEA verweigerte gegenüber "El
Universal" jede Stellungnahme. Auch gegenüber SPIEGEL ONLINE wollte die
Behörde den Bericht nicht kommentieren. Die Geschichte wurde von einigen
US-Medien aufgegriffen, unter anderem berichtete "Time" über den
Report. Die "Washington Post" nahm die Geschichte mit vorsichtiger
Skepsis zur Kenntnis: Nichts davon bedeute zwingend, dass die USA aktiv Partei
für ein Drogenkartell nähmen oder seinen Angehörigen Immunität anböten.
"El Universal", eine der
ältesten und seriösesten Zeitungen Mexikos, beruft sich in seinem Bericht auf
eigene Recherchen von rund einem Jahr Dauer. Die Reporter interviewten dafür
mehr als hundert aktive und pensionierte Drogenfahnder in beiden Ländern,
Häftlinge und Angehörige von Häftlingen sowie Experten zum Thema. Zudem hatten
sie Zugang zu Gerichtsakten und US-Regierungsdokumenten.
Schusswaffen an das
Kartell geliefert
Gerüchte, wonach die USA
mit dem Sinaloa-Syndikat kooperieren, sind nicht neu. 2009 wurde der
US-Waffenbehörde ATF unterstellt, bei der Aktion "Fast and Furious"
Schusswaffen an das Kartell unter Führung von Joaquín Guzmán, genannt "El
Chapo", geliefert zu haben.
Nun veröffentlicht "El
Universal" offizielle Dokumente - die Zusammenarbeit ist belegt. Dabei
zitiert die Zeitung Zeugenaussagen aus dem Prozess vor einem US-Bezirksgericht
in Chicago gegen Vicente Zambada-Niebla, den Sohn von Ismael, "El
Mayo" Zambada, zweiter Mann des Sinaloa-Kartells. Zambada-Niebla wurde
2009 in Mexiko-Stadt festgenommen, nachdem er sich zuvor eine halbe Stunde lang
mit einem DEA-Vertreter und einem Abgesandten des US-Justizministeriums
getroffen hatte.
Die Zusammenarbeit zwischen
mexikanischer Mafia und US-Drogenfahndern fällt in die Zeit der beiden
Regierungen der konservativen Partei PAN unter den Präsidenten Vicente Fox
(2000 bis 2006) und Felipe Calderón (2006 bis 2012). Vor allem in der Amtszeit
von Calderón konnten rund 60 US-Drogenfahnder offenbar ungehindert in Mexiko
ermitteln und festnehmen. Ihre Erkenntnisse mussten sie nicht einmal mit der
mexikanischen Regierung teilen.
Nach Recherchen von
"El Universal" sollen sich Mitarbeiter von DEA und Justizministerium
mindestens 50-mal mit Vertretern des Sinaloa-Kartells getroffen haben. In
Einzelfällen hätten die Informationen zu direkten Festnahmen von Drogenbossen
anderer Kartelle oder der Sicherstellung von Rauschgift geführt. Laut der
Zeitung soll die US-Regierung weitgehend über die Kooperation mit dem
Organisierten Verbrechen im Nachbarland informiert gewesen sein.
Eine Verletzung
internationalen Rechts
Die Strategie der DEA, sich
mit Vertretern der organisierten Kriminalität punktuell zu verbünden, um an
Informationen über andere Delinquenten zu kommen, ist in Lateinamerika nicht
neu. Ende der achtziger Jahre arbeitete die US-Drogenfahndung in Kolumbien mit
den Feinden von Pablo Escobar zusammen. So gelang es, den Chef des
Medellín-Kartells und damals meistgesuchten Verbrecher der Welt, zur Strecke zu
bringen. Zu Escobars Feinden und DEA-Informanten gehörten paramilitärische
Todesschwadronen und das rivalisierende Cali-Kartell.
Das Vorgehen der
US-Behörden stelle eine Verletzung internationalen Rechts dar und führe zu
einer Erhöhung der Gewalt und zu Menschrechtsverletzungen, kritisiert der
Drogen- und Kriminalitätsexperte Edgardo Buscaglia. Die Regierung in Washington
wende eine ähnliche Strategie seit zehn Jahren auch in Afghanistan an, wird der
Leiter des International Law and Economic Development Centre in Mexiko zitiert.
Denkbar ist auch, dass hinter der
Strategie der US-Regierung der Versuch steckt, das größte Kartell Mexikos zu
stärken, um den Drogenkrieg so schneller beenden zu können. Dem Gemetzel
zwischen Mafia-Mitgliedern und Sicherheitskräften sowie den Kartellen
untereinander sind in den vergangenen zwölf Jahren mehr als hunderttausend
Menschen zum Opfer gefallen.
26 Millionen Dollar: Diese Summe beschlagnahmten mexikanische Ermittler 2008 bei Mitgliedern des Sinaloa-Kartells. |
Nach Einschätzung der DEA ist das
Sinaloa-Kartell eine der mächtigsten Verbrecherorganisationen Lateinamerikas.
Es handelt mit Marihuana, Kokain, synthetischen Drogen und ist auch in
Menschenhandel, Raub von Rohstoffen sowie die Piraterie verstrickt. Die
Organisation ist in gut der Hälfte der 32 mexikanischen Bundesstaaten
vertreten. Verbindungen hat sie Experten zufolge in rund 40 Länder, nachweisen
konnte Interpol Zellen in Argentinien und Australien. Jüngst hieß es, die
Organisation habe sich bis auf die Philippinen vorgewagt.
Bewaffnete Patrouille: Mexikanische Polizisten haben sich für den Kampf gegen Drogenkartelle gerüstet. |
Ihre Vormachtstellung wurde unter der
Regierung von Felipe Calderón nochmals gefestigt. Nur ein Prozent der Schläge
gegen mexikanische Mafia-Organisationen zwischen 2006 und 2012 trafen das
Sinaloa-Kartell. Dies nährte den Verdacht, auch die mexikanische Regierung
stützte die Organisation von "Chapo" Guzmán, der kürzlich verhaftet
wurde.
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