Die sizilianische Fotografin Letizia
Battaglia ist das schlechte Gewissen der Mafia. Den Kampf gegen das
Verbrechersyndikat sieht sie als verloren an.
Über Jahre hat Letizia Battaglia die
Morde der organisierten Kriminalität dokumentiert, indem sie als Erste zum
Tatort eilte und die Toten fotografierte. So verlieh sie der Brutalität ein
Gesicht. Im Gegenzug diffamierte man sie und bedrohte sie mit dem Tod. An
diesem Samstag erhält die 72-Jährige den Erich-Salomon-Preis der Deutschen
Gesellschaft für Photographie, eine der wichtigsten Auszeichnungen, die auf
diesem Gebiet in Deutschland zu vergeben ist.
SZ: Signora Battaglia,
was empfindet man, wenn man Opfer einer Hinrichtung fotografiert?
Battaglia: Oh Gott, ich
weiß es nicht. Mein Partner und ich, wir haben damals in einer unglaublichen
Geschwindigkeit gelebt, wir haben gearbeitet bis zur totalen Erschöpfung, waren
in jeder Sekunde aufmerksam. Es gab fast täglich Mafiatote Anfang der
Achtziger, und wir mussten schneller sein als die Carabinieri. Wir haben den
Polizeifunk abgehört, was natürlich illegal war. Am Tatort habe ich mir oft die
Frage nach dem "Warum" gestellt. Das tut man sofort, wenn man
jemanden dort liegen sieht, der nicht mehr atmet. Aber es gab nie eine Antwort.
Also habe ich gelitten, draufgehalten, abgedrückt, gekotzt, wieder gelitten,
wieder draufgehalten. Nach dem Termin kam die Angst. Es gab Drohungen,
anonyme Anrufe.
SZ: Wie beurteilen Sie
diese Form der Fotografie? Ist es Kunst oder doch eher Politik?
Battaglia: Also Kunst ist
es definitiv nicht. Dieses Thema haben andere nachträglich auf den Tisch
gebracht. Ich habe es eher als meine Pflicht betrachtet. Die
Dokumentationspflicht einer Rastlosen, die über den Journalismus zur Fotografie
kam. Ich habe die Bilder auf der Straße ausgestellt. Um den Menschen zu
zeigen: Seht her, das passiert auf eurer Insel! Die Fotos wurden also
zwangsläufig politisch. Was die Qualität angeht und die Komposition, die heute
so oft gelobt wird: Wenn man von Polizisten bedrängt wird und im Hintergrund
Angehörige weinen, denkt man nicht an die Komposition. Aber bei hundert Fotos
vom selben Ort ist zwangsläufig auch ein gutes dabei.
SZ: Sie erhalten den
Erich-Salomon-Preis für Ihr Lebenswerk. Wie sieht Ihre persönliche
Bilanz aus?
Battaglia: Ehrlich gesagt
bin ich etwas verwundert, wenn ich so einen Preis erhalte, weil es doch so
viele hervorragende Fotografen auf der Welt gibt. Und in Italien kräht wirklich
kein Hahn mehr nach mir. Ich bin vielen Italienern peinlich. Vielleicht, weil
ich in meinem Kampf gegen die Mafia immer so absolut war, was sehr unitalienisch ist.
Und weil die Mafia heute wieder totgeschwiegen wird. So erkläre ich mir
zumindest, dass ich seit knapp 20 Jahren keinen
einzigen Auftrag mehr aus Italien erhalten habe. Ich darf dort nicht einmal
mehr den Sternenhimmel für ein Lokalblatt fotografieren.
SZ: Sie gelten vielen als
Nestbeschmutzerin, mit einem Ihrer Bilder konnte man Ministerpräsident Giulio Andreotti sogar vor Gericht Mafia-Verbindungen nachweisen. Verurteilt wurde
er trotzdem nicht. Schmerzen Sie solche Niederlagen heute?
Battaglia: Oh, nein, das
war keine Niederlage! Eine Verjährung ist kein Freispruch. Es schmälert seine
Bilanz doch erheblich. In jedes Geschichtsbuch darf man heute schreiben:
Andreotti hatte Verbindungen zur Mafia.
SZ: Sie selbst haben oft
gesagt, dass der Kampf gegen die Mafia verloren ist.
Battaglia: Oh ja, fürs
Erste haben wir verloren. Auf ganzer Linie sogar. Das gilt besonders für mich
persönlich. Ich will heute vom Kampf nichts mehr wissen. Ich bin 72 - zu alt, um noch einmal eine Veränderung zum Positiven
in Italien zu erleben. Das macht mich oft traurig.
SZ: Und die Gründe für
die Niederlage?
Battaglia: Die modernen
Werte sind Geld, Macht und Erfolg. Sie haben alles andere zurückgedrängt, vor allem
die Solidarität. Was die Menschen haben wollen, das nehmen sie sich leider. In
Palermo etwa hat gerade der große Mafia-Gegner Leoluca Orlando die
Bürgermeisterwahlen verloren, weil sich die Gegenpartei in letzter Sekunde die
Stimmen zusammenkaufte. Aber das ist kein Grund für Resignation, Dinge ändern
sich auch wieder. Irgendwann wird der Richtige gewinnen.
SZ: Ihre Bilder sind
dafür bekannt, dass sie den Betrachter nie schonen. Eignen sich derartige Fotos
heute überhaupt noch dazu, die Menschen wachzurütteln?
Battaglia: Ja, ich denke
es funktioniert noch immer. Gewalt, Elend und Schmerz berühren uns unmittelbar.
Das hoffe ich doch zumindest sehr.
SZ: Wenn Sie heute die
moderne Mafia darstellen sollten, was wäre Ihr Motiv?
Battaglia: Die Mafia
heute, das ist Hochfinanz. Politiker, Wirtschaftsbosse. Feine Herren, die
möglicherweise für das poetische Kino schwärmen. Sie morden im Verborgenen.
Keine Polizisten, Staatsanwälte oder Journalisten, das brächte zu viel
Aufmerksamkeit. Es wäre also schwer, diese neue Mafia im
Bild festzuhalten.
SZ: Wie sieht der
wirksame Kampf gegen die Mafia heute aus? Ein Buch schreiben wie Roberto
Saviano, der in "Gomorrha" das System der Camorra offenlegte?
Battaglia Das ist ein
sehr wichtiges Buch. Es ist notwendig, über die Mafia zu reden, sie nicht
totzuschweigen. Sie ist ein Problem, das alle angeht, das haben auch die
grausamen Morde von Duisburg gezeigt. Und Italien braucht Unterstützung bei
diesem Kampf. Es ist unglaublich, dass die EU duldet, dass ein so modernes Land
vom Verbrechen durchsetzt ist.
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