Sodom und Gomorrha
Gleich zweimal reist Papst
Franziskus in den kommenden Tagen nach Süditalien. Dorthin, wo Mafia,
Ndrangheta und Camorra ihre Wurzeln haben. Verschworene Gemeinschaften, die
sich seit jeher mit der Nähe zu Glaube und Kirche rühmen.
Schon Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. (2005-2013)
hatte 2010 bei seinem Besuch in Siziliens Hauptstadt Palermo und ein Jahr
später in Kalabrien eindringlich vor der Macht der organisierten Kriminalität
gewarnt.
Auch Johannes Paul II. (1978-2005) rief 2001 die
Bevölkerung Siziliens auf, sich von der Mafia zu befreien. Aber keiner von
ihnen fand so klare Worte gegen die Verbrechersyndikate wie Franziskus. Wer der
Mafia angehöre, stehe außerhalb der kirchlichen Gemeinschaft, betonte er im
Juni. Erstmals bezeichnete damit ein katholisches Kirchenoberhaupt Mafiosi als
exkommuniziert.
Schwere Geschütze gegen verschworene Gemeinschaften,
die sich seit jeher mit der Nähe zu Glaube und Kirche rühmen, wie zuletzt eine
Marienfeier im Städtchen Oppido Mamertina zeigte. Demonstrativ hielt die
Prozession vor dem Haus eines inhaftierten Clan-Chefs an. Die Verflechtungen
der ehrenwerten Gesellschaft mit der Kirche sorgen mitunter auch für skurrile
Momente. Der Top-Mafioso Bernardo Provenzano etwa, der über vier Jahrzehnte im
Untergrund lebte, soll nur ein einziges Buch besessen haben: die Bibel, in
einer Ausgabe der Vatikanischen Verlagsanstalt.
"Bibeltreue"
Verbrecher.
Offenbar beeinflusste die Lektüre das Auftreten
Provenzanos. Der langjährige Kopf der sizilianischen Mafia zeichnete seine
schriftlichen Anweisungen gelegentlich mit einem "Der ich geboren bin zu
dienen" ab. Gern und oft ließ er zudem Zitate aus dem Alten und dem Neuen
Testament einfließen. Im Frühjahr 2006 wurde er unweit seines Geburtsortes
Corleone gefasst. In dem Versteck des damals 73-Jährigen fanden die Ermittler
besagte Bibel - und Unmengen jener "pizzini" genannten Kassiber, mit
denen Provenzano die Geschicke der kriminellen Organisation lenkte und mehr als
fünf Millionen Euro in bar.
Der Top-Mafioso Bernardo Provenzano |
Die Zettelwirtschaft des alten Mannes sollte freilich
nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen kaltblütigen Killer
handelte. Seinen Spitznamen "Binnu 'u tratturi" ("Binnu der
Traktor") hatte er sich in den Augen von Freund und Feind redlich
verdient. Er habe "geschossen wie ein Gott", aber besitze nur
"das Gehirn eines Huhns", hieß es halb spöttisch, halb ehrfurchtsvoll
in der Unterwelt. Zu erfahren ist das in dem Buch "M wie Mafia" des
italienischen Schriftstellers Andrea Camilleri. Im Stil eines Lexikons und auf
Basis der Notizzettel Provenzanos entwirft der erfolgreiche Krimiautor ein
Psychogramm der Cosa Nostra, wie die Mafia auf Sizilien genannt wird.
Armut ist Nährboden für
kriminelle Machenschaften
Derartige Veröffentlichungen finden sich seit einigen
Jahren immer wieder in den Bestsellerlisten auch in Deutschland. Ein bekanntes
Beispiel ist die Geschichte der sizilianischen Mafia des englischen Historikers
John Dickie. Natürlich gehören dazu auch die Bücher des italienischen
Journalisten Roberto Saviano. Der Autor, der wegen seiner Veröffentlichungen
seit 2006 unter Polizeischutz leben muss, äußerte sich in der
"Süddeutschen Zeitung" lobend über die Haltung von Papst Franziskus,
mahnte aber zugleich an, auch jene Teile der katholischen Kirche zu isolieren,
die immer noch wie verschweißt mit der Mafia-Kultur seien.
Dass freilich dieser Aspekt nur ein Teil des Problems
ist, zeigen nicht zuletzt die Schilderungen von Aussteigern wie Giuseppina
Vitale. Zusammen mit der Journalistin Camilla Costanzo schilderte sie 2010 in
"Ich war eine Mafia-Chefin", wie ihr Clan mit der Mafia in Kontakt
kam und in der Hierarchie immer weiter nach oben kletterte.
Die archaischen Strukturen im bäuerlichen Hinterland
Siziliens, das inkonsequente Handeln der Behörden und das Fehlen jeglicher
Perspektiven für die Jugend bilden den Nährboden für kriminelle Machenschaften,
an die sich oft eine schnelle "Karriere" anschließt. So kamen auch
die Vitales schon bald in direkten Kontakt mit Bernardo Provenzano. Ein
bizarres Zusammentreffen blieb Guiseppina Vitale in besonderer Erinnerung: Um
vor seinen Verfolgern unerkannt zu bleiben, hatte sich der bibelkundige
"Boss der Bosse" als Bischof verkleidet.
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