Sonntag, 6. Juli 2014

Bandidos wie die Mafia - "Zustände wie auf Sizilien"

Das Frankfurter Landgericht hat zwei Männer nach einem brutalen Angriff auf konkurrierende Club-Mitglieder zu langen Haftstrafen verurteilt. Der Staatsanwalt sieht die Bandidos als potenzielle Mafia.



Damit hatten die beiden ehemaligen "Bandidos" wohl nicht gerechnet: Wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung muss Christopher H. für vier Jahre hinter Gitter. Im Fall von Sepher F. verhängte das Frankfurter Landgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe aus einer Vorstrafe wegen Drogenhandels, die der Berliner gerade im offenen Vollzug absitzt, und dem aktuellen Verfahren: Fünf Jahre und sechs Monate. Bestraft wurden die beiden 31-Jährigen, weil sie als damalige Mitglieder des Rockerclubs "Bandidos" vor fünf Jahren gewaltsam versucht haben sollen, den verfeindeten "Hells Angels" klar zu machen, dass Eberswalde und der Vorort Finowfurt "Territorium" ihres Rockerclubs sind.




Vertreter beider Gruppierungen hatten sich am Abend des 20. Juni 2009 auf mehreren Dorffesten in der Gegend gezeigt, um zu demonstrieren, wer hier das Sagen hat und um die Gegenseite zu provozieren. Das schien zu funktionieren, denn beide Rockergruppen lieferten sich dann in der Nacht zum 21. Juni wilde Verfolgungsjagden. Eine davon endete auf einer Kreuzung in Finowfurt: Sechs, sieben mit Sturmhauben vermummte Gestalten fallen über die vier Fahrzeuginsassen her – hauen und stechen mit Macheten, Messern, Baseballschlägern und Eisenrohren zunächst auf den vollbesetzten Wagen, später gezielt auf die Männer darin ein. Sie lassen erst von ihren Opfern ab und flüchten, als zwei Polizeibeamte zur Hilfe eilen.


Blutverschmierte Opfer

Den Helfern und weiteren aus dem Schlaf geschreckten Zeugen bietet sich ein grauenvolles Bild: Vier blutverschmierte Gestalten quälen sich aus dem demolierten Fahrzeug und lassen sich auf eine angrenzende Wiese fallen. "So einen Anblick kennt man eigentlich nur aus einschlägigen Mafia-Filmen", erinnerte sich der Frankfurter Staatsanwalt Stephan Golfier an entsprechende Tatortfotos. Drei der Angegriffenen sind erheblich verletzt – offene Brüche, zertrümmerte Kniescheiben, ein fast abgetrenntes Bein, schwere Stichwunden –, einer von ihnen sogar lebensgefährlich: Er droht an einer Brustverletzung zu ersticken. Nur die schnelle medizinische Hilfe rettet ihm das Leben, machte der Vorsitzende Richter am Freitag noch einmal in seiner Urteilsbegründung deutlich.




Mit erstarrten Gesichtern und völlig überrascht, quittierten H. und F. die Ausführungen des Vorsitzenden Richters Frank Tscheslog: "Es gibt keine schlagenden Beweise, aber in der Gesamtschau ist die Indizienkette erdrückend", sagte er. Eine kleine Sensation, denn in einem ersten Verfahren waren die beiden Männer Anfang 2012 von einer anderen Kammer des Frankfurter Landgerichts von den Anklagevorwürfen frei gesprochen worden – aus Mangel an Beweisen. "Die rechtsstaatliche Konsequenz ist ein Freispruch – ohne Rücksicht auf die Erwartungen der Öffentlichkeit", resümierte damals der Vorsitzende Richter Matthias Fuchs. Wenn alle unter einer Decke stecken und nichts preisgeben, können auch Justiz und Gesellschaft nichts dagegen tun, lautete die eigentliche, ernüchternde Botschaft.


Die Zeugen waren eingeschüchtert

Noch kurz bevor das nunmehr zweite Urteil gefällt wurde, waren die beiden Angeklagten, die angeblich nichts mehr mit der Rockerszene zu tun haben, siegessicher und grinsend durch den Gerichtsflur gelaufen. Die Urteilsverkündung? Reine Formsache. Denn die Zeichen standen gut für sie – wie schon im ersten Verfahren.




Aufgrund der Maskierung der Täter konnten nicht beteiligte Tatzeugen, die von der nächtlichen Auseinandersetzung wach geworden waren, nur wenig über die Angreifer sagen. Erneut hüllten sich die meisten anderen Prozessbeteiligten in Schweigen. Weder die damaligen Opfer der Rockerfehde, noch die Angeklagten machten Angaben darüber, was damals wirklich geschah. Auch zahlreiche Zeugen aus dem Rockermilieu blieben einsilbig. Allein 17 von ihnen machten im zweiten Verfahren von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch. "Rocker reden nicht mit Ermittlern oder der Justiz. Das ist in der Szene Gesetz und quasi Ehrenkodex", erklärte Staatsanwalt Golfier.

"Zeugen haben insofern in dem Verfahren keine wirkliche Rolle gespielt", bestätigte der Ankläger, der dennoch zuversichtlich war, dass die Angeklagten diesmal verurteilt würden. Er hatte nach den Freisprüchen der ersten Entscheidung Revision eingelegt, der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung zurück an die Oder. Begründung: Die Indizien seien von der Kammer damals nur einzeln berücksichtigt worden, nicht jedoch in ihrem Zusammenhang gewürdigt worden.


Die Indizien waren erdrückend

Den Indizien kam auch im zweiten Verfahren bei der Bemessung der Schuld der beiden Angeklagten eine große Bedeutung zu, auch wenn sie auf den ersten Blick harmlos wirken: Die Analyse einer umfassenden Telefonüberwachung, eine Radkappe vom Auto des Angeklagten F., die DNA-Spur des Angeklagten H. auf der Machete, die bei dem Angriff benutzt und beim überstürzten Rückzug zurückgelassen worden war. Dazu jede Menge Glas-, Lack- und Kunststoff-Splitter sowie Beschädigungen an den beteiligten Autos.

Das Gericht zog offenbar die richtigen Schlüsse, blieb jedoch mit den verhängten Strafen unter den Anträgen des Staatsanwaltes, der sich davon etwas enttäuscht zeigte. Golfier hatte in seinem Schlussplädoyer die bereits im ersten Verfahren gemachten Anträge wiederholt: Sechseinhalb Jahre Haft für Christopher H. und fünfeinhalb für Sepher F. (Gesamtstrafe: 7,5 Jahre).

Die Verteidigung blieb sich ebenfalls treu und plädierte für Freisprüche aus Mangel an Beweisen. "Wir hatten ursprünglich fünf weitere Bandidos angeklagt, schließlich kamen die Angreifer in der Tatnacht aus mehreren Autos. Auch Zeugen sprechen von sechs, sieben Vermummten", erläuterte Golfier. Doch die Verfahren gegen diese fünf hätten eingestellt werden müssen, weil auch die gesammelten Indizien einfach nicht ausreichten.

Das gefällte Urteil bezeichnete der Ankläger als Erfolg. Wenn immer größere rechtsfreie Räume entstünden, gingen Bürger bei Problemen künftig nicht mehr zur Polizei, sondern zu den Rockern. "Dann haben wir hier bald mafiöse Zustände wie auf Sizilien", begründete der Staatsanwalt seine Hartnäckigkeit. Wären die beiden Angeklagten vom Gericht erneut freigesprochen worden, hätte er Revision eingelegt.


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