Das Frankfurter Landgericht
hat zwei Männer nach einem brutalen Angriff auf konkurrierende Club-Mitglieder
zu langen Haftstrafen verurteilt. Der Staatsanwalt sieht die Bandidos als
potenzielle Mafia.
Damit hatten die beiden ehemaligen
"Bandidos" wohl nicht gerechnet: Wegen versuchten Totschlags,
gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung muss Christopher H. für vier
Jahre hinter Gitter. Im Fall von Sepher F. verhängte das Frankfurter Landgericht
eine Gesamtfreiheitsstrafe aus einer Vorstrafe wegen Drogenhandels, die der
Berliner gerade im offenen Vollzug absitzt, und dem aktuellen Verfahren: Fünf
Jahre und sechs Monate. Bestraft wurden die beiden 31-Jährigen, weil sie als
damalige Mitglieder des Rockerclubs "Bandidos" vor fünf Jahren
gewaltsam versucht haben sollen, den verfeindeten "Hells Angels" klar
zu machen, dass Eberswalde und der Vorort Finowfurt "Territorium"
ihres Rockerclubs sind.
Vertreter beider Gruppierungen hatten sich
am Abend des 20. Juni 2009 auf mehreren Dorffesten in der Gegend gezeigt, um zu
demonstrieren, wer hier das Sagen hat und um die Gegenseite zu provozieren. Das
schien zu funktionieren, denn beide Rockergruppen lieferten sich dann in der
Nacht zum 21. Juni wilde Verfolgungsjagden. Eine davon endete auf einer
Kreuzung in Finowfurt: Sechs, sieben mit Sturmhauben vermummte Gestalten fallen
über die vier Fahrzeuginsassen her – hauen und stechen mit Macheten, Messern,
Baseballschlägern und Eisenrohren zunächst auf den vollbesetzten Wagen, später
gezielt auf die Männer darin ein. Sie lassen erst von ihren Opfern ab und
flüchten, als zwei Polizeibeamte zur Hilfe eilen.
Blutverschmierte Opfer
Den Helfern und weiteren aus dem Schlaf
geschreckten Zeugen bietet sich ein grauenvolles Bild: Vier blutverschmierte
Gestalten quälen sich aus dem demolierten Fahrzeug und lassen sich auf eine
angrenzende Wiese fallen. "So einen Anblick kennt man eigentlich nur aus
einschlägigen Mafia-Filmen", erinnerte sich der Frankfurter Staatsanwalt
Stephan Golfier an entsprechende Tatortfotos. Drei der Angegriffenen sind
erheblich verletzt – offene Brüche, zertrümmerte Kniescheiben, ein fast
abgetrenntes Bein, schwere Stichwunden –, einer von ihnen sogar
lebensgefährlich: Er droht an einer Brustverletzung zu ersticken. Nur die
schnelle medizinische Hilfe rettet ihm das Leben, machte der Vorsitzende
Richter am Freitag noch einmal in seiner Urteilsbegründung deutlich.
Mit erstarrten Gesichtern und völlig
überrascht, quittierten H. und F. die Ausführungen des Vorsitzenden Richters
Frank Tscheslog: "Es gibt keine schlagenden Beweise, aber in der
Gesamtschau ist die Indizienkette erdrückend", sagte er. Eine kleine
Sensation, denn in einem ersten Verfahren waren die beiden Männer Anfang 2012
von einer anderen Kammer des Frankfurter Landgerichts von den Anklagevorwürfen
frei gesprochen worden – aus Mangel an Beweisen. "Die rechtsstaatliche
Konsequenz ist ein Freispruch – ohne Rücksicht auf die Erwartungen der
Öffentlichkeit", resümierte damals der Vorsitzende Richter Matthias Fuchs.
Wenn alle unter einer Decke stecken und nichts preisgeben, können auch Justiz
und Gesellschaft nichts dagegen tun, lautete die eigentliche, ernüchternde
Botschaft.
Die Zeugen waren eingeschüchtert
Noch kurz bevor das nunmehr zweite Urteil
gefällt wurde, waren die beiden Angeklagten, die angeblich nichts mehr mit der
Rockerszene zu tun haben, siegessicher und grinsend durch den Gerichtsflur
gelaufen. Die Urteilsverkündung? Reine Formsache. Denn die Zeichen standen gut
für sie – wie schon im ersten Verfahren.
Aufgrund der Maskierung der Täter konnten
nicht beteiligte Tatzeugen, die von der nächtlichen Auseinandersetzung wach
geworden waren, nur wenig über die Angreifer sagen. Erneut hüllten sich die
meisten anderen Prozessbeteiligten in Schweigen. Weder die damaligen Opfer der
Rockerfehde, noch die Angeklagten machten Angaben darüber, was damals wirklich
geschah. Auch zahlreiche Zeugen aus dem Rockermilieu blieben einsilbig. Allein
17 von ihnen machten im zweiten Verfahren von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht
Gebrauch. "Rocker reden nicht mit Ermittlern oder der Justiz. Das ist in
der Szene Gesetz und quasi Ehrenkodex", erklärte Staatsanwalt Golfier.
"Zeugen haben insofern in dem
Verfahren keine wirkliche Rolle gespielt", bestätigte der Ankläger, der
dennoch zuversichtlich war, dass die Angeklagten diesmal verurteilt würden. Er
hatte nach den Freisprüchen der ersten Entscheidung Revision eingelegt, der
Bundesgerichtshof hob das Urteil auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung
zurück an die Oder. Begründung: Die Indizien seien von der Kammer damals nur
einzeln berücksichtigt worden, nicht jedoch in ihrem Zusammenhang gewürdigt
worden.
Die Indizien waren erdrückend
Den Indizien kam auch im zweiten Verfahren
bei der Bemessung der Schuld der beiden Angeklagten eine große Bedeutung zu,
auch wenn sie auf den ersten Blick harmlos wirken: Die Analyse einer
umfassenden Telefonüberwachung, eine Radkappe vom Auto des Angeklagten F., die
DNA-Spur des Angeklagten H. auf der Machete, die bei dem Angriff benutzt und
beim überstürzten Rückzug zurückgelassen worden war. Dazu jede Menge Glas-,
Lack- und Kunststoff-Splitter sowie Beschädigungen an den beteiligten Autos.
Das Gericht zog offenbar die richtigen
Schlüsse, blieb jedoch mit den verhängten Strafen unter den Anträgen des
Staatsanwaltes, der sich davon etwas enttäuscht zeigte. Golfier hatte in seinem
Schlussplädoyer die bereits im ersten Verfahren gemachten Anträge wiederholt:
Sechseinhalb Jahre Haft für Christopher H. und fünfeinhalb für Sepher F. (Gesamtstrafe:
7,5 Jahre).
Die Verteidigung blieb sich ebenfalls treu
und plädierte für Freisprüche aus Mangel an Beweisen. "Wir hatten
ursprünglich fünf weitere Bandidos angeklagt, schließlich kamen die Angreifer
in der Tatnacht aus mehreren Autos. Auch Zeugen sprechen von sechs, sieben
Vermummten", erläuterte Golfier. Doch die Verfahren gegen diese fünf
hätten eingestellt werden müssen, weil auch die gesammelten Indizien einfach
nicht ausreichten.
Das gefällte Urteil bezeichnete der
Ankläger als Erfolg. Wenn immer größere rechtsfreie Räume entstünden, gingen
Bürger bei Problemen künftig nicht mehr zur Polizei, sondern zu den Rockern.
"Dann haben wir hier bald mafiöse Zustände wie auf Sizilien",
begründete der Staatsanwalt seine Hartnäckigkeit. Wären die beiden Angeklagten
vom Gericht erneut freigesprochen worden, hätte er Revision eingelegt.
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