Sie begehen Kapitalverbrechen
und bitten dafür die Madonna um Schutz. Doch nicht nur die Kirche distanziert
sich – auch viele Mafiosi kehren der Religion den Rücken.
Am 11. April 2006 hat die italienische Polizei ihn
endlich zu fassen bekommen: Bernardo Provenzano, der Oberpate der
sizilianischen Cosa Nostra. In seinem Versteck, einem trostlosen Schuppen in
den Bergen hinter Corleone, fanden die Agenten der Antimafia-Einheiten Heiligenbilder,
Holzkreuze, zwei Gebetsbücher und andere religiöse Gegenstände. Auch hunderte
Abschriften von sogenannten „pizzini“ fielen den Fahndern in die Hände; mit den
handgeschriebenen Notizzetteln dirigierte Provenzano von seinem Versteck aus
die sizilianische Mafia. Alle Botschaften begannen und endeten mit dem Wunsch,
Gott oder die Madonna möge den Empfänger beschützen. Mordaufträge verbrämte der Boss der
Bosse mit Zitaten aus dem Evangelium.
hier versteckte sich Provenzano viele Jahre und von hier aus dirigierte er seinen Clan |
Bernardo Provenzano bei seiner Verhaftung |
Kein
Einzelfall
Provenzano
ist mit seiner Frömmigkeit kein Einzelfall, im Gegenteil. Der gefürchtete Pate
und Serienmörder Totò Riina ließ sich von seinem „Hauspriester“ Agostino
Coppola regelmäßig die Messe lesen. Don Agostino spendete dem Obermafioso nicht
nur die Sakramente, sondern er ging für die Corleonesi bei Entführungen und
Erpressungen gelegentlich auch das Lösegeld einkassieren. „Alle Mafiosi, die
sizilianischen wie die neapolitanischen und kalabrischen, halten sich für gute
Katholiken“, betont Isaia Sales, Dozent für die Geschichte der organisierten
Kriminalität in Neapel. Die Killer sähen keinen Widerspruch zwischen ihren
mörderischen Taten und ihrem Glauben an Gott. Sie fühlten sich „im Einklang mit
ihrer Kirche“, betont Sales.
Das liegt
auch an der Kirche selber, die sich gegenüber der Mafia in Süditalien
jahrzehntelang ambivalent verhalten hat. „Die Kirche hat die Mafia nicht als
ideologischen Feind betrachtet – ihre Feinde waren die Kommunisten und die
sexuelle Befreiung“, betont Sales. Damit befand sie sich auf der Linie der
katholischen und antikommunistischen Democrazia Cristiana (DC), welche Italien
nach dem Zweiten Weltkrieg fünfzig Jahre lang praktisch alleine regiert hatte –
und deren Vertreter nur allzu oft Verbindungen zur Mafia hatten, bis in höchste
Regierungsämter. Die Cosa Nostra hat im Lauf der Jahrzehnte Dutzende
Gewerkschafter, linke Journalisten und kommunistische Regionalpolitiker
ermordet – zumeist ohne großen Aufschrei der Kirche und der DC.
Seelsorger,
keine Staatsanwälte
Priester
rechtfertigen ihre Milde gegenüber den Mafiosi in der Regel damit, dass sie
Seelsorger und keine Staatsanwälte seien: „Wir dürfen nicht verurteilen; unsere
Aufgabe ist es, die Sünder zu bekehren“, heißt es jeweils. Der Generalstaatsanwalt
von Reggio Calabria, Nicola Gratteri, bestätigt in einem unlängst erschienenen
Buch die unheilige Allianz von Kirche und Mafia: „Es gibt Pfarrer und Bischöfe,
die vor Gericht zugunsten von Mafiosi aussagen, weil diese gute Menschen und
gute Christen seien“, betont Gratteri.
Zwar seien
diese Priester in der Regel selber keine Mafiosi, aber sie seien „durchtränkt
von einer mafiösen Kultur, weil sie aus dem demselben gesellschaftlichen Milieu
stammen“, betont auch der sizilianische Generalstaatsanwalt und prominente
Mafiajäger Roberto Scarpinato. Etliche Bosse hätten auch Priester und Bischöfe
in ihrer Verwandtschaft.
Wenn eine
Kirche renoviert werden muss oder die Prozession für den Stadtheiligen etwas
finanzielle Unterstützung benötigt, dann zeigt sich der lokale Mafiaboss in der
Regel großzügig. Im Gegenzug darf er sich dann bei der Prozession an der Seite
des Priesters oder des Bischofs zeigen. „Die Nähe zu den kirchlichen
Würdenträgern ist wichtig für den Paten: Das demonstriert seine Macht“, betont Gratteri.
Besonders offensichtlich und peinlich war die Kungelei zwischen Kirche und
Mafia angesichts der Machenschaften in der Vatikanbank IOR: In der „Bank
Gottes“, die nun von Papst Franziskus ausgemistet wird, ist in großem Stil Geld
der Clans gewaschen worden.
"Ich
habe euch erwartet"
Zur
stillschweigenden Komplizenschaft der Kirche mit der Mafia hat es aber auch
immer Gegenbeispiele gegeben. Der prominenteste Anti-Mafia-Priester war
Giuseppe Puglisi, ein Pfarrer, der in Palermos von der Cosa Nostra beherrschtem
Stadtteil Brancaccio den Kampf gegen die Clans aufgenommen hatte: Er wetterte
von der Kanzel gegen die beiden damals einflussreichsten Bosse Palermos und
versuchte, für die arbeitslosen Jugendlichen des Quartiers Beschäftigungen
außerhalb der Mafia zu organisieren.
Don Puglisi
wurde am 15. September 1993 an seinem 56. Geburtstag von einem vierköpfigen
Killerkommando erschossen. Beim Prozess sagte einer seiner Mörder, der Priester
habe sie vor seinem Tod angelächelt und gesagt: „Ich habe euch erwartet.“ Im
Mai 2013, knapp zehn Jahre nach seiner Ermordung, wurde Puglisi in Palermo
seliggesprochen.
Die
Seligsprechung von Don Puglisi kam einer unmissverständlichen Verurteilung der
Mafia durch die katholische Kirche gleich – musste aber im Vatikan zuvor einige
Hindernisse und Widerstände überwinden. Das Wort „Mafia“ war erst zu Anfang der
Achtzigerjahre in einem kirchlichen Dokument erschienen: Nach der Ermordung des
Carabinieri-Generals Carlo Alberto Dalla Chiesa im September 1982 hatte die
Konferenz der sizilianischen Bischöfe die „außerordentliche Schwere der
jüngsten Gewalttaten mit mafiösem Hintergrund“ unterstrichen. Gleichzeitig
wurde ein früheres Schreiben bestätigt, wonach „Raubtaten und Mord“ die
Exkommunikation nach sich zögen.
Nicht
heilbarer Widerspruch
Dass allein
die Zugehörigkeit zur Mafia – und nicht erst die Begehung einzelner Verbrechen
– die höchste Kirchenstrafe nach sich ziehen würde, war damals noch nicht in
Betracht gezogen worden. Nach der Ermordung der beiden Mafiajäger Giovanni Falcone
und Paolo Borsellino im Jahr 1993 kamen die Bischöfe Siziliens diesem
Automatismus aber schon sehr nahe: „Die Mafia gehört ohne Ausnahme zum Reich
der Sünde“, hieß es in einem Pastoralbrief von 1994. „Alle, die ihr freiwillig
angehören, müssen wissen, dass sie in einem nicht heilbaren Widerspruch zum
Evangelium Jesu Christi leben und dementsprechend außerhalb der Gemeinschaft
der Kirche stehen.“
Es dauerte
dann noch 15 Jahre, bis sich die italienische Bischofskonferenz die
Formulierung ihrer sizilianischen Mitbrüder im Jahr 2009 zu eigen machte –
wobei auch bei dieser Gelegenheit das Wort „Exkommunikation“ vermieden wurde.
„Wenn die Mafiosi mit einem offiziellen Akt exkommuniziert worden wären, hätte
die katholische Kirche mit einem beträchtlichen Teil der süditalienischen
Gesellschaft brechen müssen. Das wollte sie nicht“, betont Mafia-Dozent Sales.
Papst Franziskus sind derartige Rücksichten fremd: „Diejenigen, die den
falschen Weg wählen, wie auch die Mafiosi, sind nicht in der Kommunion mit
Gott. Sie sind exkommuniziert“, donnerte der Papst am vorletzten Wochenende in
Kalabrien, dem Reich der 'Ndrangheta. Das war nichts anderes als eine weitere
Revolution Bergoglios.
Die Zeiten ändern sich freilich nicht nur in der
katholischen Kirche, sondern auch in der Mafia. Im Zeitalter von Internet und
Facebook stellen sich viele der neuen Paten bewusst außerhalb der alten
mafiösen Traditionen, erklärt die Soziologin und Mafia-Spezialistin Alessandra
Dini. „Es gibt immer mehr Fälle von Bossen, wie Sandro Lo Piccolo oder Matteo
Messina Denaro, die sich als laizistisch bezeichnen und mit den alten
religiösen Riten der Mafia nichts mehr zu schaffen haben wollen.“
Die verschiedenen Mafia-Organisationen wie die Cosa
Nostra, die Camorra, die 'Ndrangheta und die Sacra Corona Unita ähnelten damit
immer mehr ganz geöhnlichen Gangstersyndikaten ohne territoriale, kulturelle
oder religöse Verwurzelung. „Man kann hier, wie ja auch in anderen
gesellschaftlichen Bereichen, von einer schleichenden Säkularisierung
sprechen“, betont Alessandra Dini.
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