Vito Ciancimino ist seit
2002 tot. Jetzt hat die Bundesanwaltschaft 6,4 Millionen Franken eingezogen, die
der Strippenzieher der sizilianischen Mafia auf Schweizer Banken placiert
hatte.
Vito Ciancimino, der
1924 geborene Sohn eines Coiffeurs von Corleone, stieg in den 1960er und 1970er
Jahren zu einer Schlüsselfigur im Geflecht von Mafia und Politik in Palermo
auf. Von Beruf Vermessungstechniker – ohne diese Geometer geht in Italien im Bau-
und Immobiliengeschäft nichts – und als Mitglied der Christlich-demokratischen
Partei zog Ciancimino in die Stadtverwaltung von Palermo ein, zuständig für die
Vergabe öffentlicher Bauaufträge. Von den Tausenden von Baulizenzen im
damaligen Immobilienboom profitierten schwergewichtig Firmen und Personen aus
dem Dunstkreis der Mafia.
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Im Oktober 1970
wählten die Palermitaner Ciancimino zum Bürgermeister. Schon im Dezember des
gleichen Jahres trat er allerdings unter dem Druck von Untersuchungen der
Antimafia-Kommission des nationalen Parlaments in Rom wieder zurück.
Don Vito, wie er in
Palermo genannt wurde, blieb aber auf Jahre hinaus graue Eminenz und
einflussreicher Mittelsmann zwischen Mafia und Politik. Die Bosse Totò Riina
und Bernardo Provenzano verkehrten ebenso mit Ciancimino wie der
Spitzenpolitiker Giulio Andreotti. Schenkt man Cianciminos Sohn Massimo
Glauben, war sein Vater über fast alle Skandale und Mysterien im Bild, die
Italien bis heute beschäftigen: von der Geheimloge Licio Gellis und dem rätselhaften
Flugzeugabsturz von Ustica über die Stay-behind-Organisation Gladio und den
Zusammenbruch des Banco Ambrosiano von Roberto Calvi bis zu den Mafiamorden an
den Richtern Falcone und Borsellino.
Geldtransporte ins Paradies
Festgehalten ist all
dies in einem 2010 erschienenen Buch, in dem Massimo Ciancimino die
Erinnerungen an seinen Vater ausbreitet. Hier ist auch von den häufigen Reisen
Don Vitos in die Schweiz die Rede. Sie galten nicht nur regelmäßigen
Arztbesuchen des Hypochonders Ciancimino in Lausanne, sondern auch
Finanzgeschäften. So transportierte Don Vito in den 1970er Jahren angeblich
einmal eine Million Franken in einem Koffer per Zug nach Lugano. «Die Schweiz
erschien uns als eine Art Paradies, weil sie für die italienischen Behörden unerreichbar
war», wird Massimos Bruder Giovanni zitiert, der den Vater nach Lugano
begleitet hatte.
Der Top-Mafioso Vito Ciancimino bei seiner Verhaftung |
Jetzt erfährt Massimo
Ciancimino aber, dass die in der Schweiz liegenden Gelder nicht mehr sicher
sind. Die Bundesanwaltschaft (BA) hat 6,4 Millionen Franken eingezogen, wie die
BA-Sprecherin Jeannette Balmer auf Anfrage der NZZ bekanntgab. Die Gelder waren
seit 2005 auf Schweizer Konten eingefroren.
Massimo Ciancimino |
Gestützt auf Anzeigen
bei der Geldwäscherei-Meldestelle des Bundes, hatte die Bundesanwaltschaft
damals ein Verfahren wegen Geldwäscherei und Urkundenfälschung gegen Massimo
Ciancimino und zwei ehemalige Berater seines 2002 verstorbenen Vaters eröffnet.
Die Schweizer Banken waren hellhörig geworden, als sie von
Geldwäscherei-Ermittlungen gegen diese Personen in Italien erfuhren.
Geld auch für Italien?
Weil alle drei
Beschuldigten – einer ist inzwischen verstorben – unterdessen in Italien
rechtskräftig verurteilt wurden, stellte die Bundesanwaltschaft die Schweizer
Verfahren, gestützt auf das Opportunitätsprinzip, ein. Gleichzeitig ordnete sie
aber die Einziehung der gesperrten Gelder an. Beschwerden der Kontoinhaber
gegen diesen Entscheid wies das Bundesstrafgericht in Bellinzona Anfang Mai ab.
Weil die Kontoinhaber auf den Weiterzug ans Bundesgericht in Lausanne verzichteten,
ist die Einziehung jetzt rechtskräftig.
Noch offen ist zurzeit
die Frage, wie viel Geld Italien erhält. Rom hat sich auf dem Rechtshilfeweg
für den Schweizer «Ciancimino-Schatz» interessiert. Gestützt auf das
Bundesgesetz über die Teilung eingezogener Vermögenswerte, dürfte das Bundesamt
für Justiz mit Italien nun eine Teilungsvereinbarung aushandeln. In der Regel
wird das Geld zu gleichen Quoten auf die beteiligten Staaten verteilt.
Massimo Ciancimino
sorgt unterdessen in Italien weiter für Schlagzeilen. Er ist nämlich sowohl
Zeuge wie auch Angeklagter im Prozess über angebliche Verhandlungen zwischen
der Mafia und dem Staat im Umfeld der Richtermorde von 1992 auf Sizilien.
Don Vito hat laut
Aussagen seines Sohns damals eine von Toto Riina erstellte Liste mit zwölf
Forderungen an den Staat übermittelt. Diese reichen von Hafterleichterungen für
verurteilte Mafiosi bis zu Benzinverbilligungen in Sizilien. Massimo
Ciancimino, der die spektakulären Auftritte liebt, sagte kürzlich in einem
Fernsehinterview, er fürchte wegen seiner Aussagen um sein Leben.
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