Papst Franziskus will die Mafia aus seiner Kirche jagen, doch so einfach
ist das nicht. In Süditalien werden Mafiosi und ihre kirchlichen Helfer weiter
öffentlich verehrt - wer darüber berichtet, riskiert sein Leben.
Don Nuccio Cannizzarro ist ein treuer Pfarrer,
er steht nicht nur treu zu Gott, sondern offenbar auch zu irdischen Mächten. Er
war angeklagt in Reggio Calabria, der Hauptstadt Kalabriens, weil er laut
Anklage eng mit der Mafia kooperiert haben soll. Außerdem hat der Priester in
einem abgehörten Telefongespräch zugegeben, vor Gericht zugunsten eines
Mafiabosses gelogen zu haben. Dennoch wurde Don Nuccio vorige Woche von einem
Richter freigesprochen: Die Kooperation mit der Mafia war nicht zu beweisen,
die Falschaussage verjährt.
Don Nuccio Cannizzarro |
Was dann folgte, kann als Verhöhnung der
päpstlichen Ideale bezeichnet werden: Die Gemeinde feierte ihren Pfarrer nach
dem Freispruch mit Feuerwerk und Autokorso.
Mitte Juni hatte Franziskus so deutlich
Klartext gesprochen wie kein Papst vor ihm. Die Mafia sei "die Bewunderung
des Bösen, die Missachtung des Gemeinwohls", sagte er in der Ebene von
Sibari, in Kalabrien, der Heimat der 'Ndrangheta-Clans. Gegen die Mafia müsse
"angekämpft werden". Damit nicht genug: Mafiosi, sprach das Oberhaupt
der römisch-katholischen Kirche, "sind exkommuniziert".
Obolus vom
Mafiapaten
Schon zwei Wochen später zeigte sich in
Oppido Mamertina, wie es um den päpstlichen Einfluss in dieser Sache bestellt
ist: Nicht weit entfernt vom Schauplatz der päpstlichen Anti-Mafia-Rede hielt
eine kirchliche Prozession samt mitgeführter Madonna genau vor dem Haus des
lokalen 'Ndrangheta-Bosses Giuseppe Mazzagatti. Die Männer, die die riesige
Statue trugen, neigten diese leicht nach vorne - ein "Kniefall" der
Muttergottes zu Ehren des wegen Mordes verurteilten, aber aus Altersgründen zu
Hausarrest begnadigten Clanchefs.
Der Carabinieri-Chef verließ unter Protest
die Prozession, der Pfarrer und der halbe Gemeinderat blieben. Ein Journalist
schrieb über das Ereignis, landesweite Aufregung war die Folge. War das denn
nicht das Gegenteil dessen, was der Papst kurz zuvor von seiner Kirche
gefordert hatte? Und der Priester scherte sich gar nicht darum?
Ein paar Tage später und ein paar Dörfer
weiter, in San Procopio und Scido, immer noch Kalabrien, eine andere
Prozession, ein anderer 'Ndrangheta-Boss - ansonsten das gleiche Bild: Die
Prozession stoppt zu Ehren des 70-jährigen Nicola Alvaro vor dessen Haus. Die
Gattin des Mafia-Paten kommt heraus, berichtet die Lokalzeitung
"Quotidiano della Calabria", entrichtet ihren Obolus, und die
kirchliche Karawane zieht zufrieden weiter.
Kirche und Mafia
- eine alte Liebe
Und der Papst? Lässt er sich das alles
gefallen? Er mag sich grämen. Aber so einfach, wie er vielleicht dachte, wird
es nicht sein, die Mafia aus der Kirche zu vertreiben. In vielen
süditalienischen Gemeinden kontrollieren die Gangster-Clans alles, auch die
Kirche. Und viele Priester finden das völlig okay. Denn die meisten Mafiosi
sind treue Söhne von "Mutter Kirche".
Am Sonntag gehen sie brav zur Messe,
sitzen ganz vorne, beten und spenden reichlich, wie es sich für gute
Christenmenschen gehört. Und so sehen sich die meisten Mitglieder der Mafia auch,
ob aus der sizilianischen Cosa Nostra oder der 'Ndrangheta in Kalabrien: als
brave, gute Katholiken. "Wir sind Christen", sagte einst der
Mafiaboss Leonardo Messina, "deshalb töten wir nicht am Freitag."
Die Mafia, so der kalabrische Staatsanwalt
Federico Cafiero de Raho, sei gesellschaftlich überall präsent und bestimme
"jegliche Aktivitäten in ihrem Gebiet, auch die religiösen". Sie
leitete somit natürlich auch "mehr oder weniger direkt kirchliche
Prozessionen und Feste".
Das zeigt sich an vielen Orten. In Vibo
Valentia, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in Kalabrien, haben die für
Sicherheit und Ordnung zuständigen Behörden jetzt die geplante Prozession der
Heiligen Madonna del Carmine abgesagt. Ein anderes Mittel sahen sie nicht, um
zu verhindern, dass auch diese Muttergottes-Figur vor dem Haus des örtlichen
Mafia-Chefs ihren "Kniefall" leisten muss. Denn zumindest ein Teil
der Madonna-Träger gehört zur 'Nrangheta.
Und in Oppido Mamertina, dort wo der
Madonnen-Missbrauch zugunsten des Clanchefs Mazzagatti landesweit für Aufsehen
sorgte, hat der Bischof jetzt alle weiteren Prozessionen in seiner Diözese
gestrichen. Lieber absagen, was nicht zu steuern ist, so die Devise.
Tatsächlich ist es eine Kapitulation, ein Kniefall vor der Mafia.
Neue Papst-Reise
ins Mafia-Gebiet
Dass die 'Ndrangheta nun ihrerseits
drastisch reagieren will, erfuhr die Anti-Mafia-Einheit der italienischen
Polizei in einem abgehörten Telefongespräch zweier Clanmitglieder. Die sprachen
über Michele Albanese, den Reporter der Regionalzeitung "Quotidiano del
Sud", der als Augenzeuge über den Marien-Kniefall in Oppido Mamertina
berichtet hatte. Was die Polizisten dabei hörten, ließ keinen Zweifel offen:
Die Gangster planten einen Anschlag auf den Journalisten. Seitdem steht er
unter Polizeischutz, darf das Haus nur verlassen, wenn ein gepanzertes Fahrzeug
vor der Tür auf ihn wartet.
Und der Papst? Der reist Ende dieser Woche
gleich zweimal in ein anderes berüchtigtes süditalienisches Mafia-Gebiet, nach
Caserta, in Kampanien. Dort regiert die Camorra, und sie ist nicht weniger
zimperlich als die kriminellen Gesinnungsgenossen der Cosa Nostra und der
'Ndrangheta. Am Donnerstag will Franziskus dort zum Gedenktag der Heiligen Anna
eine Messe lesen, zwei Tage später den protestantischen Pastor Giovanni
Traettino besuchen. Gute Gelegenheiten, um zu erklären, wie er sich den
weiteren Kampf gegen die Mafia-Infiltration in seiner Kirche vorstellt.
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