Der ehemalige Camorraboss Antonio Iovine bringt Italiens
Politiker zum Zittern. Der 50jährige hat sich entschieden, mit der Justiz
zusammenzuarbeiten. Nun werden erste Aussagen über illegale Müllentsorgung
öffentlich.
Antonio Iovines Spitzname innerhalb des
Clans war "o'ninno", das Kind. Sein unschuldiges und jugendliches
Aussehen kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der 50jährige ein
Schwerverbrecher ist, der weder vor Mord noch vor schlimmsten Umweltsünden
zurückschreckte. Sein Strafregister ist so lang und seine Strafe so hoch, dass
er das Gefängnis vermutlich erst im hohen Alter verlassen wird. Vielleicht hat
ihn das dazu bewogen, auszupacken. "o'ninno", der seit 2010 in einem
Hochsicherheitsgefängnis einsitzt, hat sich im Mai dieses Jahres entschieden,
mit der Justiz zusammenzuarbeiten.
Lukratives
Geschäft mit dem Müll
Neben seiner persönlichen Geschichte von
der Aufnahme in den Clan und seinem Aufstieg innerhalb der Organisation hat
Iovine der Staatsanwaltschaft Neapel im Detail erklärt, wie das Geschäft mit
dem Müll und seiner illegalen Entsorgung ablief. Seit Ende der Neunziger Jahre
verklappen die Clans Müll aller Art, auch Sondermüll, nicht vorschriftsmässig
und verseuchen auf diese Weise weite Teile der Region Kampanien. Der
Müllnotstand in Neapel, der 2008 weltweit für Schlagzeilen sorgte, war laut
Iovine ein gefundenes Fressen für Michele Zagaria, einen Camorraboss mit besten
Kontakten zu Regionalpolitikern, die von Amts wegen das Problem so schnell wie
möglich lösen mussten.
Zagaria habe Schmiergeld bezahlt, um den
Müll von der Straße räumen und auf Ländereien, die ihm, Verwandten oder
Strohmännern gehörten, verklappen oder lagern zu können. Zu diesem Zweck habe
er eine Tarnfirma gegründet, die den Auftrag zur Müllentsorgung bei einer öffentlichen
Ausschreibung erhielt. Der für diese Ausschreibung Verantwortliche habe die
eingegangenen Angebote heimlich geprüft und Zagaria dann mitgeteilt, welche
Summe er eintragen müsse, um den Zuschlag zu bekommen.
Müllhalde im
Naturschutzgebiet
Doch damit nicht genug. Ein großer Teil
des Mülls wurde nicht im Boden verscharrt, sondern verrottete in Plastik
verpackt unter der neapolitanischen Sonne. Die Heuballen große
"Müllballen" stanken zum Himmel und riefen die Bevölkerung auf den
Plan. Protestdemonstrationen besorgter Bürger sorgten für Schlagzeilen und
brachten sogar die damalige Regierung Berlusconi unter Druck. Da es an
Müllverbrennungsanlagen mangelte, die Müllverschickung nach Deutschland und in
die Niederland kostspielig war, entschied man sich für ein Notstandsdekret,
dass eine illegale Müllhalde zu Füssen des Vesuvs kurzerhand in eine legale
Deponie verwandelte. Auf dem Papier, denn in Wirklichkeit entsprach dieses
riesige Loch im Boden keineswegs den Sicherheitsstandards einer Mülldeponie.
Mütter gegen
den Müll
Das Loch gibt es immer noch. Und es ist
immer noch offiziell eine Mülldeponie, die Abfall aus ganz Italien aufnimmt.
Mitten im Nationalpark des Vulkans Vesuvs, einem Naturschutzgebiet. Wenn Mina
Esposito morgens die Rollos hochzieht, begrüßt sie den Vesuv mit einem
freundlichen "Buon giorno". "Wir leben in Harmonie mit dem
Vulkan, er ist ja schon viel länger hier als wir" sagt die Hausfrau und
Mutter zweier Kleinkinder mit zärtlichem Unterton. Mit der Gefahr eines Vulkanausbruchs
kann sie leben, mit dem Gedanken, das Gift aus der Deponie schade der
Gesundheit ihrer Kinder, nicht.
Deshalb hat sie mit einigen
Mitstreiterinnen die Bürgerinitiative "donne vulcaniche"
(Vulkan-Frauen) gegründet. Unter ihnen ist auch die Deutsche Klaudia Eckhoff,
die der Liebe wegen nach Boscoreale zu Füßen des Vesuvs gezogen ist. Als sie
Mitte der 80er Jahre in der Ort kam, erschien ihr die Vulkanlandschaft wie ein
kleines Paradies. Noch heute genießt sie mit ihrer Tochter lange Spaziergänge
im Nationalpark. Aber manchmal beschleicht sie ein mulmiges Gefühl und sie
fragt sich, wieviel Gift ihre Familie über das Grundwasser und die im Garten
gezogenen Tomaten, Paprika und Zucchini wohl aufnimmt.
Ein Wegzug kommt für sie aber nicht in
Frage "Wo sollen wir denn hingehen? Meine Schwiegereltern wohnen hier, die
sind schon alt, die können wir nicht einfach woanders hinpflanzen."
Weggehen, aufgeben – das kommt für die "donne vulcaniche" aus
Boscoreale nicht in Betracht. Sie lehnen sich auf, rebellieren und machen sich
im Ort viele Feinde. Die lokalen Politiker haben sie mit Polizeigewalt von
Gemeindesitzungen ferngehalten, denn sie wollen die Müllhalde schließen und
kämpfen sowohl vor Gericht als auch mit spektakulären Protestaktionen gegen das
Vergessen. Seit der Müll nicht mehr zum Himmel stinkt, ist das Medieninteresse
gesunken und keiner fragt mehr danach, was langfristig getan wird, um die
Entsorgungsprobleme zu lösen.
Zahlenkrimi um
Tumore
Nur hin und wieder tauchen in den
italienischen Medien Zahlen auf, die alarmieren. In einigen Gegenden Kampaniens
sind Tumorerkrankungen in den vergangenen Jahren unverhältnismäßig gestiegen,
doch gesichertes flächendeckendes Datenmaterial liegt nicht vor. "Das
wissen die Politiker zu verhindern", sagt Mina Esposito grimmig. Auch Umweltschutzorganisationen
sorgen sich um Flora und Fauna im Nationalpark angesichts der Verklappung von
Müll zweifelhafter Herkunft. Denn das Regierungsdekret von 2008 wurde nicht
wieder aufgehoben und erlaubt die Einlagerung von Abfällen ohne die sonst notwendigen
Prüfungen. Ursprünglich für den akuten Notstand in Neapel geschaffen, ist es
nun das Feigenblatt einer Politik, die sich um die Verantwortung drückt. Denn
wer sich mit der Müllentsorgung beschäftigt, hat über kurz oder lang mit der
Camorra zu tun. Zu lukrativ ist das Geschäft, als dass die organisierte
Kriminalität darauf verzichten würde.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen