Freitag, 19. Dezember 2014

Der lange Arm der Mafia

Mit Gift- und anderem Müll verdient das italienische Verbrecherkartell Milliarden




Der Europäische Gerichtshof hat Italien wegen seiner nicht durchgesetzten Richtlinien über Mülldeponien eine Geldbuße von 40 Millionen Euro aufgebrummt. Weitere 42,8 Millionen Euro werden für jedes Halbjahr Verspätung fällig. Beanstandet wird, dass kein funktionierendes System der Abfallentsorgung besteht, um Müll umweltschonend und ohne Gesundheitsgefährdung zu beseitigen.

Anfang Dezember hatte die italienische Polizei in Rom und der Provinz Latium 37 Personen aus Politik und Wirtschaft verhaftet. Ihnen wird einem Bericht der Nachrichtenagentur ANSA zufolge vorgeworfen, Mitglieder oder Komplizen der Mafia zu sein. Gegen 100 weitere Personen leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein, darunter gegen den früheren neofaschistischen Bürgermeister der Hauptstadt, Giovanni Alemanno.

Die Ermittlungen in Rom bestätigen, was seit langem bekannt ist: Die Mafia verdient Milliarden nicht nur mit Drogenhandel, Schutzgelderpressungen oder durch illegale Geschäfte im Agrarsektor. Sie kassiert immense Summen auch mit Müll. Das römische Verbrecherkartell beherrscht die gesamte Müllentsorgung der Hauptstadt. Seit 2007 hatten EU-Inspektoren in Rom eine »katastrophale Lage« und »Missmanagement« kritisiert, also in der Bürgermeister-Amtszeit Alemannos (2008-2013), einer, wie jetzt enthüllt wurde, zentralen Figur des Verbrecherkartells. 

Unweit von Rom, auf dem Weg zum Meer, befand sich eine berüchtigte, »Malagrotta« genannte Mülldeponie, die als die größte Europas galt. Auf 250 Hektar wurden dort – was nach EU-Richtlinien verboten ist – täglich fünftausend Tonnen unbehandelter Stadtmüll abgeladen. Der süßliche Gestank der verrotteten Abfälle stieg in die Luft. Die Gegend ist auf lange Zeit verseucht, es drohen schwere Gesundheitsschäden. Alemanno weigerte sich, Abhilfe zu schaffen. Erst nach dem Amtsantritt des neuen Bürgermeisters Ignazio Marini von der Demokratischen Partei (PD) wurde der Abfallberg im Januar 2014 geschlossen.

Besonders im Süden des Landes beherrscht die Mafia das Geschäft auch mit dem Müll, vor allem mit dem giftigen Arsen, mit Asbest, Schwermetallen und Lösungsmitteln, darunter auch radioaktiven und andere toxischen Stoffen aus Krankenhäusern. Das bringt Milliarden und, wie Experten meinen, bereits mehr als der Umsatz im Drogenhandel. Einen Einblick gab der Antimafia-Publizist Roberto Saviano schon vor Jahren in seinem Reportage-Roman »Gomorrha« und in dem gleichnamigen, weltweit bekannt gewordenen Film. Er schilderte das Treiben des Casalesi-Clans der Camorra bei Neapel, der sich auf den Handel mit Giftmüll spezialisiert hat. 


Im März 2015 erscheint der authentische Mafia-Thriller
der in dramatischem Plot Das Müll-Desaster zum Thema hat


Ein Teil wird in Flüssen und Feldern versenkt bzw. vergraben. In einem Kalksteinbruch bei Caserta unweit von Neapel wurden 200.000 Tonnen Giftmüll entdeckt, der bereits in das Grundwasser eingedrungen war, mit schweren Schäden für die Landwirtschaft. Der Clan verbrannte Millionen Tonnen oft giftiger Industrieabfälle. Viele Deponien wurden regelmäßig in Brand gesetzt, um Spuren zu verwischen. Berlusconi erklärte als Regierungschef das Problem 2008 zu seiner Chefsache, geändert hat sich nichts. Experten führen das darauf zurück, dass der Medienmonopolist selbst der Komplizenschaft mit der Mafia verdächtigt wird.

Aber auch der Norden gerät zunehmend in die Hände der Müllmafia. »Giftmüll ist unter dem Asphalt verborgen«, berichtete die römische Zeitung Repubblica und vermutete brisante toxische Funde unter der Autobahn A4 von Brescia nach Mailand. Hunderte Tonnen sollen dort bei ihrem Bau vor 25 Jahren mit Teer zugeschüttet worden sein. In Prato entdeckte der Chef der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, Franco Roberti, im Dezember vergangenen Jahres, dass Mafiosi aus Neapel dort Giftmüll verscharrten. Bis dahin hatten sie ihn immer nach Süden gekarrt. Nun sparten sie die Transportkosten und entsorgten Blei, Arsen und Dioxin gleich in der Stadt bei Florenz. Der Bürgermeister von Prato, Roberto Cenni, versuchte, den Skandal wegen befürchteter Auswirkungen auf den Tourismus, zu vertuschen.
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