Mittwoch, 17. Dezember 2014

Mysteriöse Todesfälle - Londons Neureiche in Angst

Es sind die ungelösten Todesfälle, die Londons Ruhm oft ins Verruchte wenden. Der Frauenmörder Jack the Ripper ist bis heute nicht überführt. Und was wäre der englische Kriminalroman ohne London und seine wabernde Undurchdringlichkeit, was Scotland Yard ohne die sich häufenden Tode der letzten Jahre und das Dunkel um sie herum?

Eine makabre Liste kursiert derzeit, sie liest sich erschreckend. 51 Banker sind weltweit seit März 2013 gestorben, viele leitende Bankangestellte, Finanzmanager und Kapitalinvestoren begingen Selbstmord, es gab Morde durch Erschießungen aus nächster Nähe, Unfälle und Flugzeugabstürze, aber auch plötzliche Tode mit unbekannter Todesursache. Ein neuer Fall – Nummer 52 – erregt die Gemüter, eine Serie von Fragezeichen um einen Fenstersturz mit tödlichen Folgen.




Dies ist der Hintergrund. Am 8. Dezember finden Polizisten um 17 Uhr in Marylebone, einem modisch-reichen Distrikt von London, einen 52 Jahre alten Mann. Er hängt aufgespießt auf einem jener spitzen Metallzäune, die sich vor Hunderten von Altbauten in London finden lassen. Anwohner sind schockiert von dem Anblick, die Polizisten auch, sie müssen das Gitter an der Unfallstelle aufschneiden, um den Toten zu bergen.


Einst geschätztes Vermögen von 400 Millionen Pfund

Es handelt sich um den 52 Jahre alten Scot Young, beileibe kein Unbekannter in London. Er ist 20 Meter tief aus dem vierten Stock gestürzt, aus seinem Apartment, einer Millionen Pfund teuren Immobilie. Mit Immobilien hat Scot Young im Boom der 80er- und 90er-Jahre sein Geld gemacht, man schätzte ihn einst auf ein Vermögen von 400 Millionen Pfund.

Doch das ist lange her, und in einer sieben Jahre währenden Gerichtsschlacht mit seiner Frau Michelle – sie wurden endlich im November 2013 geschieden – redete er sich als "verarmten Reichen" klein, dessen Objekte seit der Finanzkrise an Wert ständig verloren wenn nicht geradezu zerplatzten. Die "Welt" berichtete 2009 zum ersten Mal über diesen Fall, der selbst hartgesottene Juristen, ob seiner schmutzigen Unterwäsche ans Tageslicht gezerrt, abstieß.




Michelle Young behauptete, ihr Ex-Mann habe durch Machenschaften wie Geldwäsche und gezinkte Buchführung Millionen in die Steueroasen verschoben, in die Karibik, nach Zypern, oder wohin auch immer. Young aber weigerte sich, vor Gericht präzise Auskunft zu geben über seine angeblichen Business-Verluste. Dafür kam er im Januar 2013 für sechs Monate hinter Gittern. Dem Freigesetzten konnte ein Richter lediglich ein Vermögen von 40 Millionen Pfund nachweisen, wovon die Hälfte an seine geschiedene Frau zu zahlen sei. Wie es heißt, haben Michelle Young und die beiden Töchter Scarlett und Sasha bisher keinen Pfennig davon gesehen.


Ein Auto, gefüllt mit teuren Kleidern

Wie kam Scot Young zu Tode? War es Selbstmord, war es eine von der Mafia erzwungene Selbstauslöschung? Hat ihn ein Unbekannter geschoben? Für alle diese Versionen gibt es plausible Gründe. Dieser Mann war lange Zeit über das Faktotum der russischen Oligarchen, die London bevölkern, war Vermittler beim Erwerb von Palästen, Luxusautos und anderen Accessoires des süßen Lebens und konnte sich in der Folge märchenhaft bereichern.

Aus einfachem Sozialmilieu im schottischen Dundee emporgekommen, warf er in seinen besten Jahren mit seinem Geld nur so um sich. Ein üppiges Anwesen in Oxfordshire, Häuser in Florida und Südfrankreich, dazu eine Yacht in Monaco – seine Einsätze im Roulette des Lebens zahlten sich aus. Einmal kaufte er seiner Ehefrau einen Range-Rover, bis zum Dach angefüllt mit Kleidern der Haute Couture, dann schenkte er ihr zu ihrem 40. Geburtstag ein Halsdiadem im Millionenwert.

Obendrein war er ein Gigolo des flüchtenden Kapitals, immer eine Nasenlänge den Untersuchungen voraus, die ihn als Steuerhinterzieher oder Geldwäscher überführen wollten. Obskure Trusts verwalteten Riesenvermögen in Russland, Zypern, der Karibik-Insel Nevis, in Monaco oder Liechtenstein. Aber immer, wenn man einen davon als zweifelhaftes Unternehmen entlarven wollte, waren die Wertposten auf einen anderen fadenscheinigen Schauplatz verschoben worden, unter neuem Firmennamen.


Das "Projekt Moskau" scheiterte

Zu Mr. Youngs besten Freunden zählte auch Boris Beresowski, der im Jahr 2000 vor Putin, mit dem die Freundschaft zerbrochen war, aus Russland fliehen und seine Vermögen in England in Sicherheit bringen musste. Mysteriöse Geschäfte waren die Spitzmarke dieser romanhaften Gestalt, darunter ein "Projekt Moskau", für das er Scot Young zu gewinnen wusste: einen Hotel- und Shopping-Komplex mit höchst lukrativen Aussichten. Das Projekt aber zerbrach, und die damit einhergehenden Verluste gab Young immer als den Hauptgrund seiner "Verarmung" an.

Dabei ist nicht klar, ob er wirklich eigene Investitionen verlor, oder nur der Finanzartist war, der in Kommission für seine Hintermänner arbeitete und bei denen dabei allmählich seinen Kredit verspielte. Seine Freunde berichten heute, dass er in den letzten Jahren ein persönlich Gejagter und Gezeichneter geworden war, mit wachsender Drogen- und Alkohol-Abhängigkeit. Zweimal wurde er zwangseingewiesen in eine Heilanstalt, mehrmals begab er sich selber in Kliniken zur Behandlung seiner Depression.




Beresowski erhängte sich im Januar 2013 in seinem luxuriösen Landsitz nahe London, vier weitere Geschäftsfreunde von Scot Young starben unter dramatischen Umständen, warfen sich vor die U-Bahn oder sprangen vom Dach eines Einkaufszentrums.


"Da oben ist ein Verrückter", rief die Ex-Verlobte

Auch um Young zog sich zuletzt die Schlinge immer enger zu. Eine Liaison mit der 36-jährigen Amerikanerin Noella Reno, einem früheren Mannequin und eigenständiger Unternehmerin, trug nicht zu seiner Stabilisierung bei. Im Gegenteil: Die Verlobung aus diesem Sommer wurde unlängst aufgelöst, zunehmender Streit zerrüttete die Beziehung.

Noella Reno berichtete vor wenigen Tagen, dass Young und sie am Nachmittag seines Todestages eine heftige Auseinandersetzung hatten, in deren Verlauf sie den Mann praktisch der Wohnung verwies, die zur Hälfte ihr gehörte; dass sie neue Schlösser anzubringen plante und beim Verlassen des Apartments wissen ließ, sie werde jetzt die Polizei rufen. In der Tat: "Da oben ist ein Verrückter", meldete sie, und begab sich zu Adresse einer Freundin. Die Polizisten reagierten prompt – und fanden die Leiche Youngs, grausam aufgespießt.

Der Mann, der im Schatten der Legalität operierte und dem man heute Kontakte auch zur berüchtigten kriminellen "Adamsbande" aus Nordlondon nachsagt, starb, wie er gelebt hatte: ungeklärt. Keinen Abschiedsbrief will die Polizei gefunden haben – das ist das Einzige, was Scotland Yard herauslässt. Die Undurchdringlichkeit Londons hat sich ein weiteres Mal bestätigt.

 http://www.welt.de/vermischtes/article135432756/Todesfall-52-versetzt-Londons-Neureiche-in-Angst.html

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