Von Andreas Rossmann
Die Spur führt nach Deutschland. Die Mannheimer Foto-Ausstellung „Tat/Ort“
zeigt die Mafia, wie man sie selten sieht: Als Teil des italienischen Alltags,
der sich in die Gesellschaft eingeschmuggelt hat.
Ein Foto von der Via Salieri in Buccinasco, einer
Kleinstadt bei Mailand: die Ecke eines Wohnblocks. Links ein Mann mit einem
Irischen Setter an der Leine, rechts ein Mann mit Scotch Terrier. Beide lässig
gekleidet, Bermudashorts, Jeans und Turnschuhe. Es kann in irgendeinem
norditalienischen Neubauviertel sein.
Die Idylle trügt: Nach 43 Jahren im Untergrund wurde Mafioso Bernardo Provenzano 2006 in diesem Bauernhaus in Montagna dei Cavalli mit fünf Millionen Euro Bargeld festgenommen. |
Die Männer sind womöglich Frührentner, die Gassi gehen. Oder Angehörige der
Baumafia? Die Bilder verraten es nicht. Doch die Vermutung hat etwas für sich:
2004 wurden in der Nähe der Via Salieri zwei Bazookas gefunden, die, so die
Ermittlungen der Polizei, auf den Wagen des stellvertretenden
Generalstaatsanwalts von Mailand abgefeuert werden sollten. Im Stadtteil
Buccinasco Più, der damals gebaut wurde, wurden im Juli 2008 Mitglieder der ’Ndrangheta-Familien
Barbaro und Papalia verhaftet, denen ein lombardischer Geschäftsmann, der 2010
wegen Zugehörigkeit zu einer mafiosen Vereinigung verurteilt wurde, Zugang zu
seinen Baustellen verschafft hatte.
Unheimliche Unschuld
Die Bilder der Ausstellung „Tat/Ort - (un)heimliche Spuren der Mafia“ von
Tommaso Bonaventura und Alessandro Imbriaco in den Reiss-Engelhorn-Museen in
Mannheim dokumentieren solche Orte: Die Pizzeria „Wall Street“ in Lecco am
Comer See, in der ein Boss aus Kalabrien die Fäden eines milliardenschweren
Drogen- und Waffenhandels zog, bis er 1992 „lebenslänglich“ bekam; zwei
Edelbars in Rom in der Via Giulio Cesare und in der Via del Traforo, die
Geldwaschanlagen waren, das aus Fellinis „Dolce vita“ bekannte Café de Paris in
der Via Veneto, das 2009 als ’Ndrangheta-Besitz beschlagnahmt und 2011 von der
„Nationalen Agentur zur Verwaltung und Bestimmung konfiszierter Güter“ wieder
eröffnet wurde, oder die Via Boito in Giussano, Provinz Monza und Brianza, wo
der Clan des Capos Antonio Stagni mehrere Wohnungen besaß.
Endlich die Panorama-Ansicht von Bardonecchia im Piemont, einem
Wintersportidyll mit schneebedeckten Dächern, das als erste norditalienische
Gemeinde 1995 wegen Mafia-Infiltration unter Zwangsverwaltung gestellt wurde.
Das Lokal galt lange als Inbegriff des römischen Dolce Vita. Es wurde geschlossen, als Verflechtungen mit der ’Ndrangheta-Familie Alvaro aufgedeckt wurden. |
Die sachlichen Aufnahmen lassen nicht erkennen oder ahnen, dass die Orte
von der organisierten Kriminalität besetzt oder unterminiert sind. Die Mafia
hat sich der gesellschaftlichen Normalität angepasst und in den
Wirtschaftskreislauf eingeklinkt. Unsichtbar ist sie präsent. Erst die
Bildunterschriften nehmen den Bildern die Unschuld, das Heimliche macht sie
unheimlich.
Als die Mafia noch mit Blut
Geschichte schrieb
Wie spektakulär war das noch, als die Fotoreporterin Letizia Battaglia in
den siebziger und achtziger Jahren in Palermo die „bleierne Zeit“ porträtierte:
Meuchelmorde und Massaker, Blut und Gewalt, Wut und Tränen. Der 1969 geborene
Bonaventura und der elf Jahre jüngere Imbriaco, beide in Rom zu Hause, bezeugen
als ihre Künstler-Söhne den Strukturwandel: Unterwanderung statt Konfrontation.
Je unauffälliger die Mafia agiert, desto rentabler. Doch Wunden eitern.
Die Staatsstraße 106 bei Palizzi in Kalabrien führt durch eine moderne
Ruinenlandschaft, den Pizzo Sella oberhalb von Mondello, dem Badevorort von
Palermo, „zieren“ Schwarzbauten, im Steinbruch zwischen Mazara del Vallo und
Marsala wurde Giftmüll entsorgt, und die in der Abendsonne glänzende Regi-Lagni-Mündung,
ein im 17. Jahrhundert angelegtes Kanalsystem in Kampanien, ist verseucht wie
der benachbarte Küstenabschnitt bei Castel Volturno.
Zwischen Mazara del Vallo und Marsala wurde Giftmüll entsorgt, und die auf diesem Bild in der Abendsonne glänzende Regi-Lagni-Mündung ist verseucht. |
Doch die Zeiten, da ein Camorra-Boss im Medici-Palast von Ottaviano
residierte, sind vorbei: 1997 konfisziert, ist das Anwesen heute Sitz der
Verwaltung des Nationalparks Vesuv.
Damals schrieb die Mafia noch mit Blut Geschichte: Auf der
Flughafenautobahn bei Capaci wurden am 23. Mai 1992 der Richter Giovanni
Falcone, seine Frau und drei Leibwächter, in der Via Mariano D’Amelio in
Palermo sieben Wochen später sein Freund und Kollege Paolo Borsellino und fünf
Begleiter in die Luft gesprengt. Der erste Tatort erscheint im Video,
aufgenommen von der Stelle, wo die Bombe gezündet wurde, der zweite auf einem
Foto der Concierge-Kabine vor dem vergitterten Haus.
Kulturelle Offensive und politische
Tat
Viele Orte kennt man aus Film und Fernsehen: Die Hochhausriegel der
Trabantenstadt Scampia nördlich von Neapel sind Schauplatz von Roberto Savianos
„Gomorrha“, das Bild der ärmlichen Bauernkate in den Hügeln bei Corleone, von
der aus Bernardo Provenzano, der Boss der Bosse, sein Imperium regierte, ging,
als er 2006 nach 43 Jahren auf der Flucht verhaftet wurde, um die Welt. Fast
idyllisch sieht sie aus: Die weidenden Schafen weisen dem (abwesenden) Capo die
Rolle des Hirten zu.
Die Ausstellung beantwortet Fragen, die fast jeder
Italien-Tourist im Gepäck hat. Wie ist das mit der Mafia, die längst im Norden
(auch in Deutschland) angekommen ist? Was muss ich befürchten? Bekomme ich
etwas mit? Man erfährt: Es reicht nicht, die Augen offen zu halten. Die rund
fünfzig Bilder sind eine italienische Reise, die, was Luigi Ghirri 1984 mit
„Viaggio in Italia“, einem Manifest der Landschaftsfotografie, vorgelegt hat,
kriminalistisch zuspitzt: Ansichten von vergessenen, verschwiegenen,
verschwundenen Orten, die von Italiens dunkler Seite erzählen.
Bekannt aus Film und Fernsehen: Die Hochhausriegel der Trabantenstadt Scampia nördlich von Neapel sind Schauplatz von Roberto Savianos „Gomorrha“. |
Die von Fabio Severo und Thomas Schirmböck kuratierte
Schau, die die Dokumentation erstmals in Deutschland vorstellt, ist eine
kulturelle Offensive und eine politische Tat. Mannheim ist ein Brennpunkt der
„pista tedesca“, der deutschen Spur. Hier leben Angehörige verhafteter Mafiosi.
Der Richter und Mafia-Jäger Paolo Borsellino wollte am 20. Juli 1992 nach
Mannheim kommen, um im Gefängnis einen Kronzeugen zu vernehmen, den er kurz
zuvor überredet hatte, mit der Polizei zu kooperieren. Am 19. Juli 1992 wurde
Borsellino vor dem Haus seiner Mutter ermordet.
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http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/mafia-ausstellung-eine-etwas-andere-italienische-reise-12919321.html
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