Sonntag, 4. Mai 2014

italienischer Fußball: Geld, Macht, Mafia

 Ein Fußballfan ringt mit dem Tod, weitere sind schwer verletzt - am Rande des italienischen Pokalfinales sind Schüsse gefallen. Im Krankenhaus liegen Opfer und mutmaßlicher Täter fast nebeneinander. Was ist los in der Szene?




"Wir hatten gerade geparkt", erzählt der Cousin des Opfers, "als wir von Romanisti angegriffen wurden." Die Gruppe neapolitanischer Fußballfans wollte auf der Viale Tor de Quinto, einer öden Straße im römischen Niemandsland, zum Olympiastadion gehen, zum Pokal-Endspiel zwischen dem AC Florenz und ihrem Heimatclub SSC Neapel, da flogen ihnen Knallkörper und Brandsätze um die Ohren.

Die Napolitaner wollten das offenbar nicht so ohne weiteres hinnehmen und schlugen zurück – dann fielen Schüsse. Was genau passierte, weiß man bislang nicht. Nur eines ist sicher: Wenig später lag der 30-jährige Neapel-Anhänger Ciro Espositio blutüberströmt und bewusstlos auf der Erde, von mindestens zwei Kugeln getroffen.




Zweimal wurde er reanimiert, jetzt befindet er sich im römischen Gemelli-Krankenhaus und ringt mit dem Tod. Wenn Espositio überlebt, bleibt er vermutlich für immer gelähmt.

Ein paar Zimmer weiter liegt Daniele de Santis, 48, genannt "Gastone", der "Boss der Südkurve", mit einem Beinbruch. Auch er wurde bewusstlos gefunden, auf demselben Schlachtfeld an der Viale Tor de Quinto, mit einer halbautomatischen Pistole neben sich. Die Polizei hält ihn für den Schützen, der Ciro Espositio niederstreckte. Er wurde festgenommen.


Blutspuren in Italiens Fußball

Nun ist die Betroffenheit wieder groß. Wie konnte das passieren? War es zu verhindern? Hat die Polizei alles richtig gemacht? Das Übliche. Tatsächlich sind Gewaltorgien mit Toten und Verletzten nichts Neues im italienischen Fußball.

1963 starb der erste "Tifoso" in einem Stadion, wegen eines nicht gepfiffenen Elfmeters in einem Zweitliga-Match. Dort, in den unteren Spielklassen, ist die Gewalt noch viel präsenter als in der Serie A, die stärker von Kameras überwacht und von Polizei begleitet wird. Aber auch in der Fußball-Oberklasse stirbt alle paar Jahre ein junger Mensch. Mal trifft es einen, der nur zum Prügeln ins Stadion geht, mal einen, der eigentlich nur ein Fußballspiel sehen will oder dort einfach seinen Job macht - wie 2007 der Polizist Filippo Raciti.






Verurteilt wird von den mit Eisenstangen bewehrten Schlägern, Brandsatzwerfern, Pistolenschützen kaum einer - Italiens Justiz ist langsam und überlastet. Und die Vereine haben offenbar auch kein starkes Interesse an einer juristischen Aufarbeitung. Sie wollen Frieden mit den sogenannten Fan-Organisationen. So wachsen dort zwielichtige Heroen heran, wie Daniele de Santis, der mutmaßliche Schütze aus der Viale Tor de Quinto.

Im zivilen Leben sei er Wachmann in einer Baumschule, schreiben italienische Medien, aber in seiner zweiten Existenz ist er "Gastone", der Chef der Ultras, der wichtigsten und brutalsten Einheit im Fan-Lager von AS Rom. Auf seiner Hand prangt ein Tattoo mit den Buchstaben "SPQR" - eine Abkürzung der alten Römer für "Senat und Volk von Rom". Das steht heute noch auf den Kanaldeckeln der Stadt - und eben als Ehrenmal auf der Hand des Fußall-Leaders mit langer Geschichte:

§  1994 verhaftet, als der Vize-Polizeichef und 16 Beamte mit Messern und Äxten angegriffen wurden; später entlassen.
§  1996 verhaftet, weil er mit anderen versucht haben soll, den Besitzer und Chef seines geliebten AS Rom zu erpressen; ohne Folgen.
§  2004 soll er das Lokalderby AS gegen Lazio Rom gestoppt haben, in dem er und andere eine Falschmeldung durch die Stadionränge jagten, die Polizei habe draußen ein Kind totgefahren; vier Jahre später Freispruch wegen Verjährung.

Das ist jedoch keine speziell römische Karriere. Auch auf Seiten der Neapolitaner tat sich am Samstag eine eindrucksvolle Erscheinung als Dirigent der Fankurve besonders hervor: Gennaro de Tommaso, Kampfname "Genny a Carogna" (etwa: "Genny der Schreckliche"). Er ist Chef der neapolitanischen Anhänger, die sich nach der Kampfhundrasse "Mastiffs" nennen. De Tommaso bringt das Wichtigste für den Job offenbar von zu Hause mit: Sein Vater, schreiben italienische Medien, sei ein bekannter Mafia-Boss. Solche Figuren finden sich nahezu überall im italienischen Fußball.


Nicht um Ehre - um Geld und Macht geht es

Wer sich dort nicht einfach nur ein zweites Leben zu seinem tristen Alltag aufbauen will, dem geht es um Macht und vor allem um Geld. Denn dank der Kooperation der Vereine verdienen "Ultras", "Mastiffs" und Co. Zehntausende von Euro im Jahr. Der Ex-Chef vom AC Milan, Adriano Galliani, schätzte die Einnahmen der Mailänder "Tifosi"-Szene vor ein paar Jahren auf drei bis vier Millionen Euro.

Das Geld kommt aus dem mehr oder weniger legalen Merchandising von Fanartikeln auf den Straßen rund um die Stadien oder im Internet. Auch beim Ticketverkauf oder bei den Transporten der Anhänger zu Auswärtsspielen in Charter-Bussen oder Sonderzügen kassieren die Fanclubs mitunter ab.




Und immer wieder stoßen die Mafia-Fahnder der italienischen Polizei auf enge Verbindungen der Clans mit den "Fußballfreunden". Es kümmert, so scheint es, niemanden wirklich - so lange das Geschäft gut weiterläuft. Störungen wie jetzt sind bald wieder vergessen.




Vor genau einem Jahr fand die Polizei am Tag des Roma-Lazio-Derbys unter den Tiberbrücken nahe des Stadions eher zufällig säckeweise Messer, Schusswaffen, Äxte, Steine und brennbare Flüssigkeiten. Gerade noch rechtzeitig wurden sie eingesammelt. Für Ciro Espositio kam die Hilfe der Polizei zu spät.


http://www.spiegel.de/sport/fussball/hintergruende-zu-den-schuessen-vor-dem-italienischem-pokalfinale-a-967482.html#ref=rss
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