Ein Fußballfan
ringt mit dem Tod, weitere sind schwer verletzt - am Rande des italienischen
Pokalfinales sind Schüsse gefallen. Im Krankenhaus liegen Opfer und
mutmaßlicher Täter fast nebeneinander. Was ist los in der Szene?
"Wir hatten gerade geparkt", erzählt der Cousin des
Opfers, "als wir von Romanisti angegriffen wurden." Die Gruppe
neapolitanischer Fußballfans wollte auf der Viale Tor de Quinto, einer öden
Straße im römischen Niemandsland, zum Olympiastadion gehen, zum Pokal-Endspiel
zwischen dem AC Florenz und ihrem Heimatclub SSC Neapel, da flogen ihnen
Knallkörper und Brandsätze um die Ohren.
Die Napolitaner wollten das offenbar
nicht so ohne weiteres hinnehmen und schlugen zurück – dann fielen Schüsse. Was
genau passierte, weiß man bislang nicht. Nur eines ist sicher: Wenig später lag
der 30-jährige Neapel-Anhänger Ciro Espositio blutüberströmt und bewusstlos auf
der Erde, von mindestens zwei Kugeln getroffen.
Zweimal wurde er reanimiert, jetzt befindet
er sich im römischen Gemelli-Krankenhaus und ringt mit dem Tod. Wenn Espositio
überlebt, bleibt er vermutlich für immer gelähmt.
Ein paar Zimmer weiter liegt Daniele de
Santis, 48, genannt "Gastone", der "Boss der Südkurve", mit
einem Beinbruch. Auch er wurde bewusstlos gefunden, auf demselben Schlachtfeld
an der Viale Tor de Quinto, mit einer halbautomatischen Pistole neben sich. Die
Polizei hält ihn für den Schützen, der Ciro Espositio niederstreckte. Er wurde
festgenommen.
Blutspuren in Italiens
Fußball
Nun ist die Betroffenheit wieder groß. Wie
konnte das passieren? War es zu verhindern? Hat die Polizei alles richtig
gemacht? Das Übliche. Tatsächlich sind Gewaltorgien mit Toten und Verletzten
nichts Neues im italienischen Fußball.
1963 starb der erste "Tifoso" in
einem Stadion, wegen eines nicht gepfiffenen Elfmeters in einem
Zweitliga-Match. Dort, in den unteren Spielklassen, ist die Gewalt noch viel
präsenter als in der Serie A, die stärker von Kameras überwacht und von Polizei
begleitet wird. Aber auch in der Fußball-Oberklasse stirbt alle paar Jahre ein
junger Mensch. Mal trifft es einen, der nur zum Prügeln ins Stadion geht, mal
einen, der eigentlich nur ein Fußballspiel sehen will oder dort einfach seinen
Job macht - wie 2007 der Polizist Filippo Raciti.
Verurteilt wird von den mit Eisenstangen
bewehrten Schlägern, Brandsatzwerfern, Pistolenschützen kaum einer - Italiens
Justiz ist langsam und überlastet. Und die Vereine haben offenbar auch kein
starkes Interesse an einer juristischen Aufarbeitung. Sie wollen Frieden mit
den sogenannten Fan-Organisationen. So wachsen dort zwielichtige Heroen heran,
wie Daniele de Santis, der mutmaßliche Schütze aus der Viale Tor de Quinto.
Im zivilen Leben sei er Wachmann in einer
Baumschule, schreiben italienische Medien, aber in seiner zweiten Existenz ist
er "Gastone", der Chef der Ultras, der wichtigsten und brutalsten
Einheit im Fan-Lager von AS Rom. Auf seiner Hand prangt ein Tattoo mit den
Buchstaben "SPQR" - eine Abkürzung der alten Römer für "Senat
und Volk von Rom". Das steht heute noch auf den Kanaldeckeln der Stadt -
und eben als Ehrenmal auf der Hand des Fußall-Leaders mit langer Geschichte:
§ 1994 verhaftet, als der
Vize-Polizeichef und 16 Beamte mit Messern und Äxten angegriffen wurden; später
entlassen.
§ 1996 verhaftet, weil er
mit anderen versucht haben soll, den Besitzer und Chef seines geliebten AS Rom
zu erpressen; ohne Folgen.
§ 2004 soll er das
Lokalderby AS gegen Lazio Rom gestoppt haben, in dem er und andere eine
Falschmeldung durch die Stadionränge jagten, die Polizei habe draußen ein Kind
totgefahren; vier Jahre später Freispruch wegen Verjährung.
Das ist jedoch keine speziell römische
Karriere. Auch auf Seiten der Neapolitaner tat sich am Samstag eine
eindrucksvolle Erscheinung als Dirigent der Fankurve besonders hervor: Gennaro
de Tommaso, Kampfname "Genny a Carogna" (etwa: "Genny der
Schreckliche"). Er ist Chef der neapolitanischen Anhänger, die sich nach
der Kampfhundrasse "Mastiffs" nennen. De Tommaso bringt das
Wichtigste für den Job offenbar von zu Hause mit: Sein Vater, schreiben italienische
Medien, sei ein bekannter Mafia-Boss. Solche Figuren finden sich nahezu überall
im italienischen Fußball.
Nicht um Ehre - um Geld
und Macht geht es
Wer sich dort nicht einfach nur ein
zweites Leben zu seinem tristen Alltag aufbauen will, dem geht es um Macht und
vor allem um Geld. Denn dank der Kooperation der Vereine verdienen
"Ultras", "Mastiffs" und Co. Zehntausende von Euro im Jahr.
Der Ex-Chef vom AC Milan, Adriano Galliani, schätzte die Einnahmen der
Mailänder "Tifosi"-Szene vor ein paar Jahren auf drei bis vier
Millionen Euro.
Das Geld kommt aus dem mehr oder
weniger legalen Merchandising von Fanartikeln auf den Straßen rund um die
Stadien oder im Internet. Auch beim Ticketverkauf oder bei den Transporten der
Anhänger zu Auswärtsspielen in Charter-Bussen oder Sonderzügen kassieren die
Fanclubs mitunter ab.
Und immer wieder stoßen die Mafia-Fahnder
der italienischen Polizei auf enge Verbindungen der Clans mit den
"Fußballfreunden". Es kümmert, so scheint es, niemanden wirklich - so
lange das Geschäft gut weiterläuft. Störungen wie jetzt sind bald wieder
vergessen.
Vor genau einem Jahr fand die Polizei am
Tag des Roma-Lazio-Derbys unter den Tiberbrücken nahe des Stadions eher
zufällig säckeweise Messer, Schusswaffen, Äxte, Steine und brennbare
Flüssigkeiten. Gerade noch rechtzeitig wurden sie eingesammelt. Für Ciro
Espositio kam die Hilfe der Polizei zu spät.
http://www.spiegel.de/sport/fussball/hintergruende-zu-den-schuessen-vor-dem-italienischem-pokalfinale-a-967482.html#ref=rss
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