Bayern und Baden-Württemberg sind der wichtigste
Aktionsraum der Mafia in Deutschland. ’Ndrangheta und Camorra gehen dort ihren
dunklen Geschäften nach. Der Schaden beläuft sich auf Milliarden.
Die internationale Fahndungsaktion hieß „Il Crimine 2“.
Im baden-württembergischen Singen nahm eine Spezialeinheit des
Landeskriminalamtes im März 2011 fünf mutmaßliche Mafia-Mitglieder fest. Im gleichen Zeitraum wurden in Kalabrien 28 Mitglieder und Drahtzieher festgesetzt.
Für
ein paar Tage fiel ein Schlaglicht auf die Aktivität der kalabrischen
Mafia-Organisation ’Ndrangheta in Baden-Württemberg. Viel mehr bekommen die
Bürger von der italienischen Mafia zumeist nicht mit. Für den Laien ist nicht
zu erkennen, ob er seine Pizza gerade in einem Restaurant bestellt, das unter
dem Einfluss der Mafia steht, oder ob der Autohändler mit dem Verkauf von
gebrauchten Alfa Romeos Geld wäscht. Der Südwesten ist aber - aufgrund seiner Nähe
zu Italien und der prosperierenden Wirtschaft - das wichtigste Aktionsfeld der
Mafia in Deutschland.
Ravensburg, Singen und Radolfzell gelten als Rückzugsräume der Mafia, auch
Stuttgart, Waiblingen, Esslingen oder Fellbach sind nach Auffassung von
Fahndern seit vielen Jahren Hochburgen kalabrischer ’Ndrangheta-Clans. Der
Mordversuch an dem in Stuttgart bekannten Herrenausstatter Felix X. geht
angeblich auch auf Rechnung der Mafia.
Der Personenkreis, der Mafia-Organisationen zugerechnet wird, ist nach
Aussage von Ermittlern kaum größer geworden. „Gemessen an den Aktivitäten der
Mafia im gesamten Bundesgebiet stellen wir fest, dass vor allem die ’Ndrangheta
in Baden-Württemberg besonders aktiv ist“, sagt der baden-württembergische
Präsident des Landeskriminalamtes, Dieter Schneider. „Von bundesweit 450
Personen, die der italienischen Mafia zugerechnet werden, sind es in
Baden-Württemberg etwa 145. Die Erklärung hierfür ist einfach: Auch die Mafia
investiert am liebsten dort, wo Geld zu verdienen ist.“
Aufklärung wird immer schwieriger
Der Schaden, der dem Staat durch Steuerhinterziehung, Abgabenbetrug und
Produktpiraterie entsteht, wird auf zehn Milliarden Euro geschätzt. „Im Bereich
der organisierten Kriminalität spielt die italienische Mafia weiterhin eine
beachtliche Rolle. Mitglieder der Mafia betätigen sich auf den klassischen
Feldern wie Rauschgiftkriminalität, Geldwäsche, Falschgeldhandel, Betrug,
Produktfälschung oder Kfz-Kriminalität. Wir registrieren zunehmend auch
komplizierte und verschachtelte Wirtschaftstransaktionen, und es liegen
Erkenntnisse über illegale Aktivitäten der Mafia in der Bauwirtschaft vor“,
sagt Schneider.
Mafia im Internet |
Schneider und seinen Ermittlern im Landeskriminalamt bereitet es große
Sorge, dass es dank des Internets, sozialer Netzwerke und vielfältiger
Kommunikationsmöglichkeiten immer schwieriger wird, mafiöse Strukturen zu
enttarnen. Ständig werden neue Verschlüsselungstechniken entwickelt, das
Internet bietet der Mafia immer neue Möglichkeiten, im Verborgenen zu arbeiten.
Schneider hält deshalb nicht nur V-Personen, verdeckte Ermittler, für
unersetzlich, er fordert auch, an den Gerichten endlich auf „organisierte
Kriminalität“ spezialisierte Strafkammern zu schaffen.
Leiter LKA - Dieter Schneider |
Weiterhin fordert er, die Möglichkeiten deutlich zu erweitern, Verbindungsdaten
auch mit Hilfe von „Trojanern“ auszuwerten. Immerhin gelang es den Beamten in
Baden-Württemberg im vergangenen Jahr, acht mutmaßliche Mafia-Mitglieder
festzunehmen und in der Bodenseeregion eine von Killern organisierte
Bestrafungsaktion sowie die „Eskalation von Clanstreitigkeiten“ zu verhindern.
Bayern als Rückzugsraum
Bayern hingegen wird von der italienischen ’Ndrangheta und der Camorra eher
als „Rückzugsraum“ betrachtet. Mitglieder, die eine Zeitlang aus dem
„operativen Geschäft“ herausgenommen werden müssten, würden oft nach Bayern
geschickt, sagt Mario Huber, Leiter des Sachgebiets „Organisierte Kriminalität“
beim bayerischen Landeskriminalamt. „Die halten hier eher die Füße still.“ Die
Personen setzten in der Regel alles daran, polizeilich nicht aufzufallen, sie
gingen, wie Huber sagt, „noch nicht mal bei Rot über die Ampel“. So würden zum
Beispiel Kellner, die man wegen Kokainbesitzes erwischt, sofort entlassen. Denn
alles, was die Polizei auf den Plan rufen könnte, solle vermieden werden.
Mario Huber, Leiter des Sachgebiets „Organisierte Kriminalität“ beim bayerischen Landeskriminalamt. |
Etwa 100 „Clan-Mitglieder“ der italienischen Mafia, die sich in Bayern
aufhielten, sind nach den Angaben der Polizei bekannt und werden beobachtet:
Womit verdienen sie ihr Geld? Mit wem haben sie Kontakt? Die hauptsächlichen
Einnahmequellen der ’Ndrangheta sind Geldwäsche und Kokainhandel. Die
’Ndrangheta habe sich in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren zum größten
Kokainhändler der Welt entwickelt, sagt Huber. Illegale und legale Geschäfte
vermischten sich häufig. Neu sei, dass immer stärker versucht werde, die
Geschäfte ohne Mittelsmänner abzuwickeln. Dadurch, dass alle Geschäftszweige in
einer Hand lägen, seien sehr große Gewinne zu erzielen.
In Bayern nutzten die Mitglieder vor allem das Allgäu als Rückzugsraum. Das
ist nach Hubers Worten historisch gewachsen: In den fünfziger Jahren kamen
viele Gastarbeiter aus Italien in die Region mit ihrer damals florierenden
Textil- und Elektronikindustrie - besonders viele kamen aus Kalabrien. Weil es
so schön war, kamen immer mehr, manche auch mit nicht so redlichen Absichten.
„Während sich beispielsweise in Nordrhein-Westfalen historisch gesehen
Mitglieder der Cosa Nostra niederließen, kamen Angehörige der ’Ndrangheta oft
ins Allgäu.“
„Stagnation auf hohem Niveau“
In Bayern sind nach den Angaben vor allem zwei weitere Gruppierungen der
organisierten Kriminalität nachweisbar mit Taten präsent. Neben Rocker-Banden
sind das vor allem Mitglieder der „post-sowjetischen OK“. OK steht für
„Organisierte Kriminalität“. Den Begriff „Mafia“ verwendet die Polizei nur für
die italienischen Gruppen. Ohnehin würde der Begriff „Russen-Mafia“ zu kurz
greifen, sagt Huber. Man treffe hier Kasachen, Kirgisen, Usbeken, kurz: alle
Nationalitäten, die vormals unter dem Dach der Sowjetunion zusammengefasst
wurden.
Mit den Wanderbewegungen der neunziger Jahre seien organisierte Gruppen
nach Deutschland gekommen, die historisch gesehen in ihren Strukturen auf die
Gefangenenorganisationen innerhalb der stalinistischen Lager zurückgingen.
Bandendiebstähle, Wohnungseinbrüche, Raubüberfälle und
Schutzgelderpressungen seien die Delikte, die deren Mitglieder in Bayern
überwiegend verübten.
Opfer von Überfällen und Erpressungen seien dabei meistens Angehörige
derselben Ethnie: Diskothekenbetreiber oder Heroindealer. „Die erstatten oft keine
Anzeige, weil sie diese Form der organisierten Kriminalität einfach als gegeben
hinnehmen.“ Anders sehe es bei den Bandendiebstählen aus, die oft den
Einzelhandel träfen: Hier hätten es die Banden auf hochwertige Kosmetika,
Spirituosen und Tabakwaren abgesehen. Präventiv könnten hier nur bessere
Sicherheitsvorkehrungen wirken, zum Beispiel mehr Videoüberwachung in den
Geschäften.
Doch das Interesse des Einzelhandels an Investitionen sei gering. „Da
werden die Mehrkosten durch die Verluste eher auf den Preis draufgeschlagen.“
Letztendlich, so Huber, betreffe die organisierte Kriminalität jeden Bürger. Es
sei eine Kriminalitätsform, die hoch sensibel auf Marktentwicklungen und
Verfolgung reagiere. „Ist der Druck zu hoch, wird das Terrain gewechselt.“ Eine
Prognose der Ausbreitung anzustellen sei eher schwierig: „Im Moment erleben wir
eine Stagnation auf hohem Niveau.“ Die Strafverfolgung sei dabei auch auf
Kooperation mit Industrie und Handel angewiesen: Wo werden in großem Umfang
Chemikalien für die Rauschgiftherstellung bestellt? Was geschieht auf den
Bankkonten?
Bei allem Einsatz von moderner Technik sei jedoch auch der menschliche
Faktor bei der Ermittlungsstrategie sehr wichtig: „Wir müssen uns in die Köpfe
der Entscheider hineinversetzen. Was würde ich als Nächstes tun?“
.
http://www.faz.net/aktuell/politik/organisierte-kriminalitaet-mafia-in-bayern-und-baden-wuerttemberg-12936087.html
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