von Hans Jürgen Schlamp
Wo steckt das Geld der Clans, welcher Politiker wurde geschmiert, wer hat
wen ermordet? Kaum einer weiß das so genau wie Camorra-Boss Antonio Iovine.
Jetzt verrät er es der Justiz.
Casal di Principe ist ein lausiger Ort in der
Provinz Caserta. Etwa 20.000 Menschen leben dort. 44 Prozent davon seien nach
Paragraf 416 Absatz 2 vorbestraft, wegen "Bildung einer mafiösen
Vereinigung". Saviano hat das Kriminellen-Städtchen bekannt gemacht, mit
seinem Bestseller "Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra". Casal
di Principe ist das Zentrum der mächtigsten und reichsten Clans der Mafia-Organisation
in Neapel und Umgebung, der Camorra.
Casal di Principe ist ein lausiger Ort in der
Provinz Caserta. Etwa 20.000 Menschen leben dort. 44 Prozent davon, seien nach Paragraf 416 Absatz 2
vorbestraft, schätzt der Autor Savianowegen "Bildung einer mafiösen Vereinigung". Saviano hat
das Kriminellen-Städtchen bekannt gemacht, mit seinem Bestseller "Gomorrha
- Reise in das Reich der Camorra". Casal di Principe ist das Zentrum der
mächtigsten und reichsten Clans der Mafia-Organisation
in Neapel und Umgebung, der Camorra.
Ihre Anführer ertragen das Berufsrisiko,
eines Tages für den Rest ihres Lebens im Knast zu landen, in der Regel
schweigend. Francesco Schiavone, genannt "Sandokan", ist seit 1998
hinter Gittern. Stumm. Auch Michele Zagaria, der letzte Super-Boss und seit
2011 in Haft, sagt nichts über seine Geschäfte und Bekanntschaften. "Das
Schweigen", so der Camorra-Kenner Saviano, der selbst aus Casal di
Principe stammt, habe "einen unschätzbaren Wert" für die Kinder und
Enkel eines Clanchefs. Es sei, neben den weltlichen Gütern wie Geld und
Immobilien, "das wahre Vermächtnis". Denn die Herren von Casale
dächten nicht in Jahren sondern in Epochen.
Vom Mörder zum Manager
Nun will ausgerechnet ein ganz besonderer
Casalesi-Boss den staatlichen Antimafia-Kämpfern alles verraten, was er weiß:
Antonio Iovine, 49 Jahre alt, und nicht nur wegen seines Kindergesichts
"o'ninno" (das Baby) genannt, sondern auch weil er schon in sehr
jungen Jahren zur kleinen Führungsspitze der kriminellen Organisation gehörte.
Hochgedient hatte er sich auf die alte,
brutale Art: Mit 16 Jahren schoss er zum ersten Mal, mit 20 tötete er einen
Unternehmer, der sich nicht beugen wollte. Aber an der Spitze angekommen
wandelte er sich zum Manager, unter seiner Führung wurden die
"Casalesi" zur mächtigsten und reichsten Camorra-Gang. Gute Kontakte
zur Politik, zur Justiz und zur Polizei waren fortan wichtiger als sture Gewalttätigkeit.
Ein Bruder des Clanchefs war sogar Stadtpolizist in Casale. Ein Agent des
italienischen Geheimdienstes soll im Nebenberuf Fahrer für die Familie Iovine
gewesen sein.
Das große Zittern
beginnt
Natürlich wurde der neue Super-Boss
genauso wie seine Vorgänger von der Polizei gesucht - 14 Jahre lang ohne
Erfolg. Der Flüchtige reiste währenddessen quer durch Italien, ins Ausland und
organisierte die Geschäfte.
Als er schließlich, im November 2010, im
Haus eines unbescholtenen Maurers in Casal di Principe gefunden und gefasst
wurde, ließ er sich - nach einem kurzen, gescheiterten Fluchtversuch über den
Balkon - lächelnd abführen.
Seit 2010 sitzt er nun im Knast,
lebenslänglich wegen Mordes, dazu noch einige weitere Strafen aus laufenden
Verfahren in Aussicht. Und jetzt plötzlich will er auspacken. Warum, das weiß
man nicht so richtig. Vielleicht, weil er nach eigenen Angaben an
Klaustrophobie leidet, und damit ein Leben in der Zelle gewiss besonders schwer
erträglich ist.
Jedenfalls erfuhren Italiens Medien nun,
dass er Anfang dieses Monats auf vielen Seiten niedergeschrieben hat, wonach
ihn Staatsanwälte seit langem vergebens befragt hatten. Und allein diese
Meldung dürfte jetzt viele Menschen erzittern lassen: Andere Mafiosi, aber auch
erfolgreiche Unternehmer und angesehene Politiker.
Denn "das Baby" war zuständig
für das Waschen und Investieren der Camorra-Milliarden. Er hat die Einnahmen
aus dem Rauschgifthandel, aus Betrug und Erpressung, aus illegalen Geschäften
jedweder Art in legale Anlagen verwandelt: Bei öffentlich ausgeschriebenen
Straßenbauten oder Krankenhäusern, bei der Müllentsorgung, im
Glücksspielsektor, im Import-Exporthandel, in Restaurants und Boutiquen. Einer
seiner ersten Coups war, schreibt der Mafia-Experte Saviano, der Kauf der
Diskothek "Gilda" in Rom, wo sich bis heute die Hippen, Schönen und
Reichen amüsieren.
Iovine weiß alles
Iovine kennt die Unternehmen, in denen die
Gelder stecken. Er weiß, wer, wann, wie bezahlt wurde. Wenn er will, werden
viele Köpfe rollen. Auch in der Politik womöglich.
Iovine weiß gewiss einiges zu erzählen
über den kürzlich verhafteten Ex-Wirtschaftsstaatssekretär in der Regierung von
Silvio Berlusconi, Nicolo Consentino. Auch der stammt aus Casale di Principe
und war in unendliche Skandale und Anklagen in der Grauzone von Geld und
Politik verwickelt.
Eigentlich ist das Schweigen das oberste Gebot der Camorra. Francesco Schiavone, genannt "Sandokan", ist seit 1998 hinter Gittern. Stumm. |
Iovine weiß vermutlich auch Bescheid,
warum der damalige Innenminister und Vorsitzende einer kleinen
bürgerlich-christlichen Partei, Clemente Mastella, die Regierung Prodi verließ und
diese damit 2009 zu Fall brachte. Zuvor hatte die Polizei in den
Geschäftsbeziehungen seiner Frau gestöbert, was Prodi nicht unterbinden wollte.
Und ganz bestimmt weiß er, wieso ein
Mastella-Parteifreund den Direktor eines Krankenhauses bedrängte, unbedingt
einen Vetter des Camorra-Bosses zum Leiter des Sanitätsbereichs zu machen. Und
er weiß sicher viele andere solche Geschichten, die zu erfahren bislang wohl
kaum jemand erwartet hätte.
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