Donnerstag, 22. Mai 2014

Camorra-Boss Antonio Iovine packt aus

von Hans Jürgen Schlamp

Wo steckt das Geld der Clans, welcher Politiker wurde geschmiert, wer hat wen ermordet? Kaum einer weiß das so genau wie Camorra-Boss Antonio Iovine. Jetzt verrät er es der Justiz.




Casal di Principe ist ein lausiger Ort in der Provinz Caserta. Etwa 20.000 Menschen leben dort. 44 Prozent davon seien nach Paragraf 416 Absatz 2 vorbestraft, wegen "Bildung einer mafiösen Vereinigung". Saviano hat das Kriminellen-Städtchen bekannt gemacht, mit seinem Bestseller "Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra". Casal di Principe ist das Zentrum der mächtigsten und reichsten Clans der Mafia-Organisation in Neapel und Umgebung, der Camorra.

Casal di Principe ist ein lausiger Ort in der Provinz Caserta. Etwa 20.000 Menschen leben dort. 44 Prozent davon, seien nach Paragraf 416 Absatz 2 vorbestraft, schätzt der Autor Savianowegen "Bildung einer mafiösen Vereinigung". Saviano hat das Kriminellen-Städtchen bekannt gemacht, mit seinem Bestseller "Gomorrha - Reise in das Reich der Camorra". Casal di Principe ist das Zentrum der mächtigsten und reichsten Clans der Mafia-Organisation in Neapel und Umgebung, der Camorra.

Ihre Anführer ertragen das Berufsrisiko, eines Tages für den Rest ihres Lebens im Knast zu landen, in der Regel schweigend. Francesco Schiavone, genannt "Sandokan", ist seit 1998 hinter Gittern. Stumm. Auch Michele Zagaria, der letzte Super-Boss und seit 2011 in Haft, sagt nichts über seine Geschäfte und Bekanntschaften. "Das Schweigen", so der Camorra-Kenner Saviano, der selbst aus Casal di Principe stammt, habe "einen unschätzbaren Wert" für die Kinder und Enkel eines Clanchefs. Es sei, neben den weltlichen Gütern wie Geld und Immobilien, "das wahre Vermächtnis". Denn die Herren von Casale dächten nicht in Jahren sondern in Epochen.


Vom Mörder zum Manager

Nun will ausgerechnet ein ganz besonderer Casalesi-Boss den staatlichen Antimafia-Kämpfern alles verraten, was er weiß: Antonio Iovine, 49 Jahre alt, und nicht nur wegen seines Kindergesichts "o'ninno" (das Baby) genannt, sondern auch weil er schon in sehr jungen Jahren zur kleinen Führungsspitze der kriminellen Organisation gehörte.

Hochgedient hatte er sich auf die alte, brutale Art: Mit 16 Jahren schoss er zum ersten Mal, mit 20 tötete er einen Unternehmer, der sich nicht beugen wollte. Aber an der Spitze angekommen wandelte er sich zum Manager, unter seiner Führung wurden die "Casalesi" zur mächtigsten und reichsten Camorra-Gang. Gute Kontakte zur Politik, zur Justiz und zur Polizei waren fortan wichtiger als sture Gewalttätigkeit. Ein Bruder des Clanchefs war sogar Stadtpolizist in Casale. Ein Agent des italienischen Geheimdienstes soll im Nebenberuf Fahrer für die Familie Iovine gewesen sein.


Das große Zittern beginnt

Natürlich wurde der neue Super-Boss genauso wie seine Vorgänger von der Polizei gesucht - 14 Jahre lang ohne Erfolg. Der Flüchtige reiste währenddessen quer durch Italien, ins Ausland und organisierte die Geschäfte.

Als er schließlich, im November 2010, im Haus eines unbescholtenen Maurers in Casal di Principe gefunden und gefasst wurde, ließ er sich - nach einem kurzen, gescheiterten Fluchtversuch über den Balkon - lächelnd abführen.

Seit 2010 sitzt er nun im Knast, lebenslänglich wegen Mordes, dazu noch einige weitere Strafen aus laufenden Verfahren in Aussicht. Und jetzt plötzlich will er auspacken. Warum, das weiß man nicht so richtig. Vielleicht, weil er nach eigenen Angaben an Klaustrophobie leidet, und damit ein Leben in der Zelle gewiss besonders schwer erträglich ist.


Auch Michele Zagaria, der letzte Super-Boss und seit 2011 in Haft, sagt nichts über seine Geschäfte und Bekanntschaften. Iovine bricht nun sein Gelübde, viele Mächtige in Italien dürfte das nervös machen.


Jedenfalls erfuhren Italiens Medien nun, dass er Anfang dieses Monats auf vielen Seiten niedergeschrieben hat, wonach ihn Staatsanwälte seit langem vergebens befragt hatten. Und allein diese Meldung dürfte jetzt viele Menschen erzittern lassen: Andere Mafiosi, aber auch erfolgreiche Unternehmer und angesehene Politiker.

Denn "das Baby" war zuständig für das Waschen und Investieren der Camorra-Milliarden. Er hat die Einnahmen aus dem Rauschgifthandel, aus Betrug und Erpressung, aus illegalen Geschäften jedweder Art in legale Anlagen verwandelt: Bei öffentlich ausgeschriebenen Straßenbauten oder Krankenhäusern, bei der Müllentsorgung, im Glücksspielsektor, im Import-Exporthandel, in Restaurants und Boutiquen. Einer seiner ersten Coups war, schreibt der Mafia-Experte Saviano, der Kauf der Diskothek "Gilda" in Rom, wo sich bis heute die Hippen, Schönen und Reichen amüsieren.


Iovine weiß alles

Iovine kennt die Unternehmen, in denen die Gelder stecken. Er weiß, wer, wann, wie bezahlt wurde. Wenn er will, werden viele Köpfe rollen. Auch in der Politik womöglich.
Iovine weiß gewiss einiges zu erzählen über den kürzlich verhafteten Ex-Wirtschaftsstaatssekretär in der Regierung von Silvio Berlusconi, Nicolo Consentino. Auch der stammt aus Casale di Principe und war in unendliche Skandale und Anklagen in der Grauzone von Geld und Politik verwickelt.


Eigentlich ist das Schweigen das oberste Gebot der Camorra. Francesco Schiavone, genannt "Sandokan", ist seit 1998 hinter Gittern. Stumm.


Iovine weiß vermutlich auch Bescheid, warum der damalige Innenminister und Vorsitzende einer kleinen bürgerlich-christlichen Partei, Clemente Mastella, die Regierung Prodi verließ und diese damit 2009 zu Fall brachte. Zuvor hatte die Polizei in den Geschäftsbeziehungen seiner Frau gestöbert, was Prodi nicht unterbinden wollte.


Und ganz bestimmt weiß er, wieso ein Mastella-Parteifreund den Direktor eines Krankenhauses bedrängte, unbedingt einen Vetter des Camorra-Bosses zum Leiter des Sanitätsbereichs zu machen. Und er weiß sicher viele andere solche Geschichten, die zu erfahren bislang wohl kaum jemand erwartet hätte.
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