Von Michael Schwarz
Nirgendwo in Deutschland ist die Mafia
aktiver als im Südwesten. Die Polizei spricht von rund 150 Mitgliedern. Unser
Korrespondent Michael Schwarz hat sich mit Sigurd Jäger, dem Leiter der
Inspektion Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt, in Stuttgart-Bad
Cannstatt getroffen.
Sigurd Jäger leitet die Inspektion Organisierte Kriminalität beim Landeskriminalamt. |
Wer sich
mit der Polizei über die italienische Mafia unterhält, bekommt schnell das Bild
eines Chamäleons gezeichnet. Die Zeiten, in denen schwarz gekleidete Menschen
mit dunklen Sonnenbrillen in die Pizzeria kommen, um Schutzgeld zu erpressen
oder Personen die sich weigern zu bezahlen, zu erschießen, gehören der
Vergangenheit an. Zu viel Öffentlichkeit, zu viel Aufmerksamkeit. „Die
Klischees aus vielen Gangsterfilmen gehen an der Realität vorbei“, sagt
Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD). Die Mafia passt sich an,
ist dort, wo es was zu holen gibt. In Deutschland gibt es was zu holen, in
Baden-Württemberg als einer der reichsten Regionen sogar sehr viel.
Fahnder
Stuttgart-Bad
Cannstatt, Taubenheimstraße 85, Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg.
Sigurd Jäger hat sich Zeit genommen, um über die italienische Mafia zu
sprechen. Jäger ist Leiter der rund 50 Mitarbeiter starken Inspektion
Organisierte Kriminalität, die sich mit besonders ermittlungsintensiven
Delikten beschäftigt. Der Handel mit Prostituierten gehört dazu, das Beobachten
von Rockergruppen wie den Hells Angels ebenso. Und
die italienische Mafia. ‘Ndrangheta, Camorra, Cosa Nostra, Stidda, Sacra Corona
Unita. Das
sind die fünf Vereinigungen, die auch im Südwesten tätig sind und deren
Syndikate – also kriminellen Ursprünge – sich allesamt in Süditalien befinden.
„In
Baden-Württemberg leben aktuell rund 150 Personen, die dem engen und weiteren
Kreis der italienischen Mafia zuzuordnen sind“, erklärt Jäger. In keinem
anderen deutschen Bundesland seien es mehr.
Die
meisten Mafiosi arbeiten für die ‘Ndrangheta, also die kalabrische Mafia, der
ein weltweiter Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro zugerechnet wird. Deren
Hochburgen im Südwesten sind Stuttgart, Ludwigsburg, Fellbach, Waiblingen und
Esslingen. Weiter südlich gelten Ravensburg, Singen und Radolfzell als
Anlaufpunkte. Neben der prosperierenden Wirtschaft macht die Nähe zu ihrer
Heimat den Südwesten, in dem über 167 000 italienische Staatsbürger gemeldet
sind, für die Mafia attraktiv.
Die italienischen Gruppierungen, mit denen sich Polizist Jäger beschäftigt, arbeiten im Untergrund. Es geht um Geldwäsche, Schwarzarbeit, Autoschieberei, Produktfälschung und Menschenhandel. Um sie überführen zu können, setzt das LKA verdeckte Ermittler ein, die sich durch eine Zusammenarbeit bei ihnen anhängigen Strafverfahren Vorteile erhoffen. Telefonate werden abgehört, Räume oder Autos verwanzt. Ein Beamter in Jägers Inspektion spricht fließend italienisch und es gibt seit Kurzem ein Nottelefon für Personen, die von der Mafia erpresst werden.
Dazu
kooperieren die LKA-Mitarbeiter eng mit italienischen Spezialeinheiten in
Palermo, Parma und Neapel. Öffentliche Schießereien mit mehreren Toten wie vor
sieben Jahren in Duisburg, wo zwei verfeindete Mafia-Clans aufeinandertrafen,
hat es in Baden-Württemberg bisher nicht gegeben. Hier werden der noch immer
nicht aufgeklärte Mord 1997 an dem Ludwigsburger Kaufmann Luigi Ferrara und der
Mordversuch 2009 an dem bekannten Stuttgarter Herrenausstatter Felix W. der
italienischen Mafia zugeordnet.
Produktfälschung
Jäger
erzählt über einen der spektakulärsten Fälle in jüngster Vergangenheit. Eine
Ermittlungsgruppe kam 2009 im Raum Karlsruhe Produktfälschern auf die Spur.
Eine Gruppe der Camorra ließ in China in großem Umfang Elektrogeneratoren,
Werkzeuge und Kettensägen herstellen. Die Waren wurden verkauft, die Unterlagen
waren allesamt gefälscht. „Damals hat sich ein Landwirt mit einem kaputten
Generator bei der Polizei gemeldet“, erinnert sich der 49-Jährige an den Beginn
der Ermittlungen.
Durch die
Zusammenarbeit mit der italienischen Polizei fanden die LKA-Beamten heraus,
dass ein Mitglied der Verkaufstruppe zur Camorra gehört. Neun Mafiosi wurden
festgenommen, 32 Häuser durchsucht, 500 Geräte beschlagnahmt. Der Schaden betrug
rund drei Millionen Euro. Oder ein Fall im Großraum Mosbach, bei dem die
LKA-Einsatzgruppe Barocco eine kleine Gruppe von italienischen Mafiosi der
‘Ndrangheta auffliegen ließ, die zwischen 2011 und 2013 mit Falschgeld
bezahlte. Drei Personen wurden damals festgenommen und jeweils zu vier Jahren
Haft verurteilt.
Sind die
Fahnder im Südwesten erfolgreich, liegt das oft an der Polizei in Italien. Dort
sind die Gesetze härter. Es reicht schon der Nachweis einer
Mafia-Mitgliedschaft für eine Verurteilung. Der aktuellste dieser Fälle liegt
ein Jahr zurück, als das LKA in Metzingen und Singen zwei Mafia-Mitglieder
festnehmen konnte, die vom italienischen Staat per europäischen Haftbefehl
gesucht wurden. Bei der Geldwäsche hat das LKA hingegen kaum eine Chance. „Mit
Geldwäsche macht die italienische Mafia weltweit Gewinne im Milliardenbereich“,
so Jäger. Durch Strohmannfirmen würde sie auf diese Art ähnlich viel verdienen
wie mit dem Kokain- oder Waffenhandel.
Ablauf
Strohmannfirmen
treten als Subunternehmer auf und erstellen Kunden eine Rechnung, obwohl sie
keine Leistung erbringen. Der Kunde überweist das Geld, der Strohmann hebt es
ab und gibt es in bar wieder dem Kunden. Dieser hat eine ordentliche Rechnung
und bezahlt mit dem Bargeld Schwarzarbeiter. Der Strohmann erhält die
Provision. Nur einer geht bei dem kriminellen Zusammenspiel leer aus: der
Staat.
In Nordrhein-Westfalen wurden bereits etliche solcher Fälle aufgedeckt. In Baden-Württemberg hingegen ist nichts bekannt, behauptet zumindest Bernhard Sänger, Präsident des Landesverbands der Bauwirtschaft. Die Hintermänner der Bau-Mafia sitzen Experten zufolge in Italien. Für sie sind Strohmänner in Deutschland Marionetten, die sie für ihre Machenschaften nutzen – und regelmäßig austauschen.
http://www.stimme.de/suedwesten/nachrichten/Naehe-zur-Heimat-Naehe-zum-Geld;art1960,3099277
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