Freitag, 9. Mai 2014

Die Mafia in Bayern

Die sizilianische Cosa Nostra, die Camorra aus Neapel - einschlägige italienische Mafia-Syndikate, die ihre Ableger auf dem gesamten Globus haben, auch in Deutschland, auch in Bayern. Eine in der Öffentlichkeit weniger bekannte Gruppierung ist die 'Ndrangheta. Doch gerade diese kalabrische Spielart der Organisierten Kriminalität ist die aktivste hierzulande.

Sie operiert mit Drogen- und Waffenhandel, Geldfälschung, Geldwäsche. Es ist noch nicht lange her, da wurde in Sonthofen im Allgäu eine 'Ndrangheta-Gruppe ausgehoben. Eine Pizzeria als Relaisstation für europaweiten Kokainhandel - der Fall Sonthofen ist typisch für die Arbeitsweise der 'Ndrangheta.



Und es war nicht irgendwer, der sich im Allgäu niedergelassen hatte: Nach Angaben der Kemptener Ermittler agierten dort Angehörige der Clans aus dem berühmt-berüchtigten San Luca, die auch für das Mafia-Massaker 2007 in Duisburg mit sechs Leichen verantwortlich waren.


Mafia in Großstädten und auf dem Land

Dass eben diese Clans viele Stützpunkte in Deutschland haben, geht auch aus Erkenntnissen des Bundeskriminalamts (BKA) hervor. In Bayern dienen demnach nicht nur das Allgäu, sondern auch München, Nürnberg und sogar kleinere Orte in Unterfranken oder Oberbayern als Aktions- oder Rückzugsraum.

Wie viele 'Ndrangheta-Mitglieder sich insgesamt in Deutschland aufhalten, weiß auch das BKA nicht. Fast 100 wurden in den vergangenen zwölf Jahren festgenommen. Eine der spektakulärsten Fahndungserfolge gelang bayerischen Ermittlern am 29. März 2010 unter dem Operations-Code "'Ndrangheta in Oberbayern (NiO)".


Razzia mit 400 Beamten - und mehrere Prozesse

Binnen weniger Stunden durchsuchten mehr als 400 Beamte gleichzeitig insgesamt 71 italienische Restaurants und Bistros in München und in diversen Städten von Erding bis Augsburg. Bei der Razzia wurden elf Personen festgenommen. Wie schon in Sonthofen fand man bei der "NiO"-Aktion Kokain - und auch in diesem Fall führten Spuren bis nach San Luca. Die Staatsanwaltschaft München I erhob Anklagen, erste Urteile sind schon gefallen.





Die Arbeitsweise der 'Ndrangheta

Mit Kokain verdient die 'Ndrangheta Milliarden. Doch wohin mit dem kriminellen Geld? Vergraben kann es die Mafia nicht, daher wäscht sie einen Gutteil davon. Pizzerien eignen sich für die dunklen Geschäfte der 'Ndrangheta besonders gut.

Im Juli 2010 warnte das Bundeskriminalamt (BKA) vor zunehmender Kriminalität italienischer Banden in Deutschland. Mehrere Hundert mutmaßliche Mafia-Mitglieder leben demnach dauerhaft hier, mehr als die Hälfte sollen dem Syndikat mit dem sperrigen Namen 'Ndrangheta angehören. Hier sind insbesondere die Familienclans Nirto, Strangio, Vottari, Giorgi zu nennen.
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"Bezogen auf das Investitionsverhalten und die Geldflüsse der Clans werden die Hinweise immer deutlicher, dass in Deutschland Investitionen in großer Höhe vorgenommen werden, hauptsächlich im Gastronomie- und Hotelgewerbe", hieß es weiter aus BKA-Quellen. "Investitionen in großer Höhe" - das bedeutet im Klartext: Da ist Geldwäsche im Spiel. Aufgrund der für sie vorteilhafteren Gesetzeslage wählen Mafiosi dazu lieber ein Land wie Deutschland als Italien.


Geldwäsche in großem Stil

Das Geld wird gewaschen, weil es kriminell erworben wurde. Die Mafia verfügt über horrende Summen. Laut Francesco Forgione, dem Ex-Vorsitzenden des Mafia-Ausschusses im italienischen Parlament, machen 'Ndrangheta, Camorra und Cosa Nostra zusammen einen Jahresumsatz zwischen 120 und 180 Milliarden Euro (Angaben von 2009).

Das entspricht mindestens fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts Italiens. Einer der lukrativsten Zweige der Schattenwirtschaft ist der Handel mit Rauschgift, vor allem mit Kokain. Darauf hat sich besonders die 'Ndrangheta spezialisiert, die diesen internationalen Markt inzwischen weitgehend kontrolliert. Nach letzten Schätzungen (2013) muss von einem Umsatz von 230 Milliarden Umsatz ausgegangen werden. 

Clans der Organisation beziehen den Stoff im Wesentlichen über Seerouten von südamerikanischen Drogenkartellen. Rotterdam, Hamburg und Antwerpen sind die drei wichtigsten europäischen Häfen, wo das weiße Pulver ankommt.





Goldgrube Kokain

Mit Kokain erzielt die Mafia riesige Gewinnspannen, zumal sie nach Angaben von Mario Huber, Leiter des Dezernats für Organisierte Kriminalität am Landeskriminalamt in München, mittlerweile Zwischenhändler auf dem Weg des Stoffes von Kolumbien oder Peru nach Europa ausgeschaltet hat. Für ein Gramm Kokain zahlt die 'Ndrangheta 2,50 Euro an südamerikanische Drogenbarone. Im Verkauf kostet das Gramm 60 Euro.
Zusätzlichen "Mehrwert" schafft man durch Qualitätsverminderung: Ein Kilo Kokain wird in eigenen Laboren auf zwei gestreckt.

So verdient die 'Ndrangheta schätzungsweise jährlich mehr als 30 Milliarden Euro allein durch illegalen Rauschgift-Handel. Die Organisation sei eine "Holding des Drogenmarktes", sagt Forgione - und "Deutschland ein Zentrum des Kokainhandels".


Gutbürgerliche Kunden

Auch wenn die 'Ndrangheta ursprünglich aus Kalabrien kommt, sitzen ihre Bosse längst auch anderswo, vor allem in Mailand. Diese verstehen sich heutzutage weniger als allmächtige "Paten" denn als Geschäftsleute, die in Büros mit schicken Designer-Möbeln residieren - wie ein Gutteil ihrer Kunden: In der 1,3-Millionen-Metropole Mailand leben italienischen Experten zufolge etwa 130.000 regelmäßige Konsumenten der Modedroge Kokain.




Dessen leistungssteigernde Wirkung schätzen längst nicht nur mehr unter Ausdauerdruck stehende Partylöwen, sondern auch gestresste Rechtsanwälte, Ärzte oder Hochleistungssportler. Kokain muss man sich leisten können, es ist kein Stoff für Junkies und Aussteiger.


Pizzeria mit Drogen-Lager

Zwar ist Mailand laut Forgione die europäische Kokain-Hauptstadt, doch ähnliches Klientel, und nicht zu wenig davon, wartet auch in Amsterdam, Zürich, Berlin, Frankfurt oder München auf Nachschub.

Die 'Ndrangheta-Bosse lassen den verdünnten Stoff dementsprechend in ihre "Filialen" transportieren - meist italienische Restaurants, die zur Tarnung Pizza, Pasta und Pannacotta anbieten, aber in Wirklichkeit Umschlagplätze für europaweiten Kokainhandel sind.

Der ahnungslose Gast speist in südländischem Ambiente - und hat keinen blassen Schimmer, dass im Keller oder im Hinterzimmer kiloweise Drogen lagern, die nur darauf warten, an ihre Endverbraucher verkauft zu werden. Aber die Pizzeria hat - siehe oben - ja noch eine weitere Funktion: Geldwäsche.





Die Probleme der Mafia-Jäger

"Großer Lauschangriff", Straftatsbestand der Mafia-Zugehörigkeit, Beschlagnahme von Vermögen - in Italien verfügen die Behörden über ein breites Instrumentarium zur Fahndung und Strafverfolgung - ganz im Gegensatz zu Deutschland.

Im Juli 2010 gelang der italienischen Polizei ein ganz großer Coup gegen die 'Ndrangheta. Nach jahrelangen Ermittlungen der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaften in Mailand und Reggio Calabria wurden 300 zum Teil hochrangige Mafiosi festgenommen und Immobilien im hohen zweistelligen Millionenbereich beschlagnahmt.

Insgesamt zogen in Italien die Behörden in den vergangenen zwei Jahren Vermögenswerte in Höhe von mehreren Milliarden Euro ein. Das wäre in Deutschland nicht möglich gewesen. Auch beim eingangs des Dossiers geschilderten Sonthofener Fall waren die Ermittler davon ausgegangen, dass die Verdächtigen einer mafiösen Struktur angehören, konnten aber nicht den Nachweis erbringen.

Dafür ist in Deutschland ein sehr hoher Ermittlungsaufwand nötig. Wie meist in solchen Fällen kamen auch in der Causa Sonthofen Verurteilungen wegen Rauschgiftdelikten heraus - und nicht etwa wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung.





Unterschiedliche Rechtssysteme

Die beiden Ereignisse zeigen exemplarisch die länderspezifisch unterschiedlichen Zugriffsmöglichkeiten der Behörden, es gibt in diesem Zusammenhang keine EU-weit verbindlichen Gesetze.

Allein im Vergleich zwischen Italien und Deutschland existieren bereits große Abweichungen im Rechtssystem.

Eine Übersicht zur "Standortfrage" von Mafiosi zeigt (siehe oben / Karte).
An die "großen Fische" kommt man nicht heran. Bei der Mafia-Bekämpfung gehen in Deutschland der Polizei fast nur "kleine Fische" ins Netz. "Die meisten Fälle, die vor bayerischen Gerichten verhandelt wurden, hatten entweder Drogenhandel, in Einzelfällen Schutzgelderpressung, Waffenhandel als Ursache", erinnert sich Josef Geißdörfer, der ehemalige Leiter des Dezernats für Organisierte Kriminalität beim LKA München. An die eigentlichen Drahtzieher, die Clanchefs, kämen die Fahnder jedoch nicht heran.


Internationale Zusammenarbeit mangelhaft

Oft genug sind deutsche Ermittler angewiesen auf Informationen aus Italien, doch die fließen längst nicht immer im erforderlichen Umfang. Nach dem Massaker von Duisburg 2007 wurde eine deutsch-italienische Taskforce gegründet, doch ihre Effektivität wird von Fachleuten unterschiedlich eingeschätzt. Mit russischen Behörden gibt es so gut wie keine Kooperation.


Hohe Hürden beim "Lauschangriff"

Das wirksamste Mittel, um Mafiosi zu überführen, scheint das Abhören von Telefongesprächen zu sein. In Italien gewännen die Behörden 90 Prozent der Informationen über die Mafia durch angezapfte Leitungen, berichtet Roberto Scarpinato.




Der sizilianische Oberstaatsanwalt gehörte schon dem Anti-Mafia-Pool um die ermordeten Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino an, ist bis heute einer der führenden Mafia-Jäger in Italien, lebt daher seit rund zwei Jahrzehnten isoliert und ständig unter Polizeischutz.

Von solchen Zugriffsmöglichkeiten können deutsche Fahnder nur träumen. Um einen richterlichen Beschluss für den "Lauschangriff" zu erwirken, muss ein Staatsanwalt einen langen Atem haben. Die Ermittler befinden sich hier zudem in einer Zwickmühle: Abhören erleichtert zwar ihre Arbeit, andererseits verteidigen viele Staatsanwälte und Polizisten das hohe deutsche Rechtsgut des Schutzes der Privatsphäre.


Laxe Verhältnisse in Italien

Zwar verbucht Italien die spektakuläreren Fahndungserfolge als Deutschland, aber die justizielle Nachhaltigkeit steht auf einem anderen Blatt. Ob Verfahren verjähren oder Urteile in der dritten Instanz vom Kassationsgericht gekippt werden: Verhaftete Mafiosi sind in Italien häufig relativ schnell wieder auf freiem Fuß. Und es gibt noch ein weiteres Problem: "Durch die Regierung Berlusconi werden ja regelmäßig Amnestien ausgesprochen. Die Masse ist da ganz schnell wieder freigelassen", beklagt der Kemptener Staatsanwalt Gunther Schatz.

In Bayern etwa sei der Strafvollzug dagegen wesentlich härter, wovor nicht nur italienische Kriminelle inzwischen Respekt hätten, sondern auch osteuropäische, wie die folgenden Auszüge von Telefongesprächen zeigen, die die Staatsanwaltschaft Kempten abhören ließ:


"Scheiß-Bayern" - abgefangene Reaktionen von Kriminellen
Abgehörtes Knasttelefonat

"Wir warten schon auf Dokumente, aber du weißt ja, was für ein Scheißland dieses Bayern ist - die dechiffrieren gleich alles."
(Hintergrund: Warenlieferungen ins Gefängnis werden abgefangen)

"Wir warten schon auf Dokumente, aber du weißt ja, was für ein Scheißland dieses Bayern ist - die dechiffrieren gleich alles."
(Hintergrund: Warenlieferungen ins Gefängnis werden abgefangen)


"Weißt du, was beschämend ist? Dass wir für das, was wir drüben gemacht haben und tatsächlich ins Gefängnis gehören, nicht gesessen sind und normal weggegangen sind. Und hier? Verdammt, wegen nichts, nur weil ich geholfen habe."
(Abgehörtes Gespräch eines ehemaligen Leibwächters eines "Diebes im Gesetz")

"Wenn du das tust, musst du aufpassen, das ist Organisierte Kriminalität. Hier in Bayern muss man dafür mit sehr hohen Strafen rechnen."

"Wenn ich richtig verstanden habe, deine schlimmsten Erwartungen wurden bestätigt: zehn Jahre ohne Beweise, sowas geht nur in Scheiß-Bayern."

Quelle der Zitate: Staatsanwaltschaft Kempten



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