Die sizilianische Cosa Nostra, die Camorra aus
Neapel - einschlägige italienische Mafia-Syndikate, die ihre Ableger auf dem
gesamten Globus haben, auch in Deutschland, auch in Bayern. Eine in der
Öffentlichkeit weniger bekannte Gruppierung ist die 'Ndrangheta. Doch gerade
diese kalabrische Spielart der Organisierten Kriminalität ist die aktivste
hierzulande.
Sie operiert mit Drogen- und Waffenhandel,
Geldfälschung, Geldwäsche. Es ist noch nicht lange her, da wurde in Sonthofen
im Allgäu eine 'Ndrangheta-Gruppe ausgehoben. Eine Pizzeria als Relaisstation
für europaweiten Kokainhandel - der Fall Sonthofen ist typisch für die
Arbeitsweise der 'Ndrangheta.
Und es war nicht irgendwer, der sich im Allgäu
niedergelassen hatte: Nach Angaben der Kemptener Ermittler agierten dort
Angehörige der Clans aus dem berühmt-berüchtigten San Luca, die auch für das
Mafia-Massaker 2007 in Duisburg mit sechs Leichen verantwortlich waren.
Mafia in Großstädten und auf dem Land
Dass eben diese Clans
viele Stützpunkte in Deutschland haben, geht auch aus Erkenntnissen des
Bundeskriminalamts (BKA) hervor. In Bayern dienen demnach nicht nur das Allgäu,
sondern auch München, Nürnberg und sogar kleinere Orte in Unterfranken oder
Oberbayern als Aktions- oder Rückzugsraum.
Wie viele 'Ndrangheta-Mitglieder sich insgesamt
in Deutschland aufhalten, weiß auch das BKA nicht. Fast 100 wurden in den
vergangenen zwölf Jahren festgenommen. Eine der spektakulärsten
Fahndungserfolge gelang bayerischen Ermittlern am 29. März 2010 unter dem
Operations-Code "'Ndrangheta in Oberbayern (NiO)".
Razzia mit 400 Beamten - und mehrere Prozesse
Binnen weniger Stunden durchsuchten mehr als
400 Beamte gleichzeitig insgesamt 71 italienische Restaurants und Bistros in
München und in diversen Städten von Erding bis Augsburg. Bei der Razzia wurden
elf Personen festgenommen. Wie schon in Sonthofen fand man bei der
"NiO"-Aktion Kokain - und auch in diesem Fall führten Spuren bis nach
San Luca. Die Staatsanwaltschaft München I erhob Anklagen, erste Urteile sind
schon gefallen.
Die Arbeitsweise der 'Ndrangheta
Mit
Kokain verdient die 'Ndrangheta Milliarden. Doch wohin mit dem kriminellen
Geld? Vergraben kann es die Mafia nicht, daher wäscht sie einen Gutteil davon.
Pizzerien eignen sich für die dunklen Geschäfte der 'Ndrangheta besonders gut.
Im Juli 2010 warnte
das Bundeskriminalamt (BKA) vor zunehmender Kriminalität italienischer Banden
in Deutschland. Mehrere Hundert mutmaßliche Mafia-Mitglieder leben demnach
dauerhaft hier, mehr als die Hälfte sollen dem Syndikat mit dem
sperrigen Namen 'Ndrangheta angehören. Hier sind insbesondere die Familienclans Nirto, Strangio, Vottari, Giorgi zu nennen.
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"Bezogen auf das
Investitionsverhalten und die Geldflüsse der Clans werden die Hinweise immer
deutlicher, dass in Deutschland Investitionen in großer Höhe vorgenommen
werden, hauptsächlich im Gastronomie- und Hotelgewerbe", hieß es
weiter aus BKA-Quellen. "Investitionen in großer Höhe" - das bedeutet
im Klartext: Da ist Geldwäsche im Spiel. Aufgrund der für sie vorteilhafteren
Gesetzeslage wählen Mafiosi dazu lieber ein Land wie Deutschland als Italien.
Geldwäsche in großem Stil
Das Geld wird
gewaschen, weil es kriminell erworben wurde. Die Mafia verfügt
über horrende Summen. Laut Francesco Forgione, dem Ex-Vorsitzenden des
Mafia-Ausschusses im italienischen Parlament, machen 'Ndrangheta, Camorra und
Cosa Nostra zusammen einen Jahresumsatz zwischen 120 und 180 Milliarden Euro
(Angaben von 2009).
Das entspricht
mindestens fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts Italiens. Einer der
lukrativsten Zweige der Schattenwirtschaft ist der Handel mit Rauschgift, vor
allem mit Kokain. Darauf hat sich besonders die 'Ndrangheta spezialisiert, die
diesen internationalen Markt inzwischen weitgehend kontrolliert. Nach letzten Schätzungen (2013) muss von einem Umsatz von 230 Milliarden Umsatz ausgegangen werden.
Clans
der Organisation beziehen den Stoff im Wesentlichen über Seerouten von
südamerikanischen Drogenkartellen. Rotterdam, Hamburg und Antwerpen sind die
drei wichtigsten europäischen Häfen, wo das weiße Pulver ankommt.
Goldgrube Kokain
Mit Kokain erzielt die
Mafia riesige Gewinnspannen, zumal sie nach Angaben von
Mario Huber, Leiter des Dezernats für Organisierte Kriminalität am
Landeskriminalamt in München, mittlerweile Zwischenhändler auf dem Weg des
Stoffes von Kolumbien oder Peru nach Europa ausgeschaltet hat. Für ein Gramm
Kokain zahlt die 'Ndrangheta 2,50 Euro an südamerikanische Drogenbarone.
Im Verkauf kostet das Gramm 60 Euro.
Zusätzlichen
"Mehrwert" schafft man durch Qualitätsverminderung: Ein Kilo Kokain
wird in eigenen Laboren auf zwei gestreckt.
So verdient die
'Ndrangheta schätzungsweise jährlich mehr als 30 Milliarden Euro allein
durch illegalen Rauschgift-Handel. Die Organisation sei eine "Holding des
Drogenmarktes", sagt Forgione - und "Deutschland ein Zentrum des
Kokainhandels".
Gutbürgerliche Kunden
Auch wenn die
'Ndrangheta ursprünglich aus Kalabrien kommt, sitzen ihre Bosse längst auch
anderswo, vor allem in Mailand. Diese verstehen
sich heutzutage weniger als allmächtige "Paten"
denn als Geschäftsleute, die in Büros mit schicken Designer-Möbeln
residieren - wie ein Gutteil ihrer Kunden: In der 1,3-Millionen-Metropole
Mailand leben italienischen Experten zufolge etwa 130.000 regelmäßige
Konsumenten der Modedroge Kokain.
Dessen
leistungssteigernde Wirkung schätzen längst nicht nur mehr unter Ausdauerdruck
stehende Partylöwen, sondern auch gestresste Rechtsanwälte, Ärzte oder
Hochleistungssportler. Kokain muss man sich leisten können, es ist kein
Stoff für Junkies und Aussteiger.
Pizzeria mit Drogen-Lager
Zwar ist Mailand laut
Forgione die europäische Kokain-Hauptstadt, doch ähnliches Klientel, und nicht
zu wenig davon, wartet auch in Amsterdam, Zürich, Berlin, Frankfurt oder
München auf Nachschub.
Die 'Ndrangheta-Bosse lassen den verdünnten Stoff
dementsprechend in ihre "Filialen" transportieren - meist
italienische Restaurants, die zur Tarnung Pizza, Pasta und Pannacotta anbieten,
aber in Wirklichkeit Umschlagplätze für europaweiten Kokainhandel sind.
Der ahnungslose Gast speist in südländischem Ambiente - und
hat keinen blassen Schimmer, dass im Keller oder im Hinterzimmer kiloweise
Drogen lagern, die nur darauf warten, an ihre Endverbraucher verkauft zu
werden. Aber die Pizzeria hat - siehe oben - ja noch eine weitere Funktion:
Geldwäsche.
Die Probleme der Mafia-Jäger
"Großer Lauschangriff", Straftatsbestand der
Mafia-Zugehörigkeit, Beschlagnahme von Vermögen - in Italien verfügen die
Behörden über ein breites Instrumentarium zur Fahndung und Strafverfolgung -
ganz im Gegensatz zu Deutschland.
Im Juli 2010 gelang der
italienischen Polizei ein ganz großer Coup gegen die 'Ndrangheta. Nach
jahrelangen Ermittlungen der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaften in Mailand und
Reggio Calabria wurden 300 zum Teil hochrangige Mafiosi festgenommen und
Immobilien im hohen zweistelligen Millionenbereich beschlagnahmt.
Insgesamt zogen in Italien
die Behörden in den vergangenen zwei Jahren Vermögenswerte in Höhe von mehreren
Milliarden Euro ein. Das wäre in Deutschland nicht möglich gewesen. Auch beim
eingangs des Dossiers geschilderten Sonthofener Fall waren die Ermittler davon
ausgegangen, dass die Verdächtigen einer mafiösen Struktur angehören, konnten
aber nicht den Nachweis erbringen.
Dafür ist in Deutschland
ein sehr hoher Ermittlungsaufwand nötig. Wie meist in solchen Fällen kamen auch
in der Causa Sonthofen Verurteilungen wegen Rauschgiftdelikten heraus - und
nicht etwa wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Unterschiedliche Rechtssysteme
Die beiden Ereignisse
zeigen exemplarisch die länderspezifisch unterschiedlichen
Zugriffsmöglichkeiten der Behörden, es gibt in diesem Zusammenhang keine
EU-weit verbindlichen Gesetze.
Allein im Vergleich
zwischen Italien und Deutschland existieren bereits große Abweichungen im
Rechtssystem.
Eine Übersicht zur
"Standortfrage" von Mafiosi zeigt (siehe oben / Karte).
An die "großen Fische" kommt man nicht
heran. Bei der Mafia-Bekämpfung gehen in Deutschland der Polizei fast nur
"kleine Fische" ins Netz. "Die meisten Fälle, die vor
bayerischen Gerichten verhandelt wurden, hatten entweder Drogenhandel, in
Einzelfällen Schutzgelderpressung, Waffenhandel als Ursache", erinnert
sich Josef Geißdörfer, der ehemalige Leiter des Dezernats für Organisierte
Kriminalität beim LKA München. An die eigentlichen Drahtzieher, die Clanchefs,
kämen die Fahnder jedoch nicht heran.
Internationale Zusammenarbeit mangelhaft
Oft genug sind
deutsche Ermittler angewiesen auf Informationen aus Italien, doch die fließen
längst nicht immer im erforderlichen Umfang. Nach dem Massaker von Duisburg 2007
wurde eine deutsch-italienische Taskforce gegründet, doch ihre Effektivität
wird von Fachleuten unterschiedlich eingeschätzt. Mit russischen Behörden gibt
es so gut wie keine Kooperation.
Hohe Hürden beim "Lauschangriff"
Das wirksamste Mittel,
um Mafiosi zu überführen, scheint das Abhören von Telefongesprächen zu sein. In
Italien gewännen die Behörden 90 Prozent der Informationen über die Mafia durch
angezapfte Leitungen, berichtet Roberto Scarpinato.
Der
sizilianische Oberstaatsanwalt gehörte schon dem Anti-Mafia-Pool um die ermordeten
Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino an, ist bis heute einer der
führenden Mafia-Jäger in Italien, lebt daher seit rund zwei Jahrzehnten
isoliert und ständig unter Polizeischutz.
Von solchen Zugriffsmöglichkeiten können
deutsche Fahnder nur träumen. Um einen richterlichen Beschluss für den
"Lauschangriff" zu erwirken, muss ein Staatsanwalt einen langen Atem
haben. Die Ermittler befinden sich hier zudem in einer Zwickmühle: Abhören
erleichtert zwar ihre Arbeit, andererseits verteidigen viele Staatsanwälte und
Polizisten das hohe deutsche Rechtsgut des Schutzes der Privatsphäre.
Laxe Verhältnisse in Italien
Zwar verbucht Italien
die spektakuläreren Fahndungserfolge als Deutschland, aber die justizielle
Nachhaltigkeit steht auf einem anderen Blatt. Ob Verfahren verjähren oder
Urteile in der dritten Instanz vom Kassationsgericht gekippt werden: Verhaftete
Mafiosi sind in Italien häufig relativ schnell wieder auf freiem Fuß. Und es
gibt noch ein weiteres Problem: "Durch die Regierung Berlusconi werden ja
regelmäßig Amnestien ausgesprochen. Die Masse ist da ganz schnell wieder
freigelassen", beklagt der Kemptener Staatsanwalt Gunther Schatz.
In Bayern etwa sei der Strafvollzug dagegen wesentlich
härter, wovor nicht nur italienische Kriminelle inzwischen Respekt hätten,
sondern auch osteuropäische, wie die folgenden Auszüge von Telefongesprächen
zeigen, die die Staatsanwaltschaft Kempten abhören ließ:
"Scheiß-Bayern" - abgefangene Reaktionen von Kriminellen
Abgehörtes Knasttelefonat
"Wir warten schon auf Dokumente, aber du weißt ja, was für ein Scheißland dieses Bayern ist - die dechiffrieren gleich alles."
(Hintergrund: Warenlieferungen ins Gefängnis werden abgefangen)
"Wir warten schon auf Dokumente, aber du weißt ja, was für ein Scheißland dieses Bayern ist - die dechiffrieren gleich alles."
"Wir warten schon auf Dokumente, aber du weißt ja, was für ein Scheißland dieses Bayern ist - die dechiffrieren gleich alles."
(Hintergrund: Warenlieferungen ins Gefängnis werden abgefangen)
"Wir warten schon auf Dokumente, aber du weißt ja, was für ein Scheißland dieses Bayern ist - die dechiffrieren gleich alles."
(Hintergrund: Warenlieferungen ins Gefängnis werden
abgefangen)
"Weißt du, was
beschämend ist? Dass wir für das, was wir drüben gemacht haben und tatsächlich
ins Gefängnis gehören, nicht gesessen sind und normal weggegangen sind. Und
hier? Verdammt, wegen nichts, nur weil ich geholfen habe."
(Abgehörtes Gespräch eines ehemaligen Leibwächters eines
"Diebes im Gesetz")
"Wenn du das tust,
musst du aufpassen, das ist Organisierte Kriminalität. Hier in Bayern muss man
dafür mit sehr hohen Strafen rechnen."
"Wenn ich richtig
verstanden habe, deine schlimmsten Erwartungen wurden bestätigt: zehn Jahre
ohne Beweise, sowas geht nur in Scheiß-Bayern."
Quelle der Zitate: Staatsanwaltschaft Kempten
Quelle der Zitate: Staatsanwaltschaft Kempten
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