Mitten in Rom hat sich die Mafia
breitgemacht – die Römer sind geschockt. Auch "Welt"-Autorin
Constanze Reuscher sieht ihren Stadtteil mit anderen Augen. Auf den Spuren der
organisierten Kriminalität.
Die Mafia ist mitten unter uns: Die
Bosse wohnen nebenan, gehen mit uns Kaffeetrinken, auf den Markt, und wir
kaufen ahnungslos bei ihnen ein. Mir ist das passiert, in Rom. Der Pate der
Mafia Capitale, die Anfang Dezember in Rom aufgeflogen ist, lebte und agierte
in meiner Nachbarschaft. Es sind Leute, die immer höflich waren, nie laut und
nicht auffielen – eben gute Nachbarn. Aber es gab Signale, die man hätte erkennen
können.
Der gigantische Mafiaskandal, der ganz
Italien erschüttert hat, ist vor wenigen Tagen aufgeflogen: Mafia Capitale ist
so eine Bande von nebenan. Eine ganz neue Form der Mafia, nicht aus dem Süden
importiert, sondern mitten in der Stadt gewachsen. 38 Personen wurden bei einer
Razzia verhaftet. Gegen weitere 100 wird ermittelt, darunter auch Roms
ehemaliger Bürgermeister Gianni Alemanno.
Der soll, wie aus abgehörten Gesprächen
hervorgeht, "ganze Koffer voller Geld nach Argentinien"
gebracht haben. Er bestreitet das zwar, doch der Hass auf die korrupte Politik
wächst rasant. Der Antikorruptionschef der Regierung Renzi, Raffaele Cantone
warnt jetzt vor einem Klima "der Lynchjustiz wie bei Tangentopoli
1993" – der riesige Korruptionsskandal, an den Politiker quer durch alle
Parteien im ganzen Land beteiligt waren.
Mafia Capitale ist eine explosive
Mischung aus gewalttätigen Rechtsradikalen, Ex-Terroristen, gewöhnlichen
Mafiosi, kriminellen Roma, hohen Beamten und Politikern. Gemeinsam haben sie
sich mit ihren schmutzigen Machenschaften in den Stadtkassen bedient. Allein in
diesem Jahr wurden in der italienischen Hauptstadt Güter, Immobilien und
Bargeld aus Mafiaverbrechen im Wert von 1,2 Milliarden Euro beschlagnahmt.
Ein Schock für die ganze Stadt. Dass
Pate Massimo Carminati, oder wie er sich selbst nannte, der "König von
Rom", und seine Schergen Leute von nebenan waren, ist für viele Römer –
auch für mich – noch schlimmer.
Die Villa vom Boss
Foto: Constanze Reuscher - |
Carminatis privates Hauptquartier war
eine hübsche Villa in Traumlage auf den Hügeln 15 Kilometer vor der Stadt: von
der Terrasse der Blick auf Rom im Süden, links auf die verschneiten Berge der
Abruzzen im Osten. Rechts die Ebene, die bis zum Horizont im Westen reicht und
wo die Sonne abends im Meer versinkt. Die Villa liegt an der Via Monte
Cappelletto, gehört zum malerischen Borgo Sacrofano. Wir wohnen nur ein paar
Kilometer weiter in Richtung Rom.
Die Gegend ist grün und ländlich, zum
großen Teil Naturschutzgebiet, für römische Verhältnisse trotzdem stadtnah.
Viele Familien ziehen hierher, damit die Kinder nicht im Großstadtsmog aufwachsen.
Die Villa vom Boss Carminati kannten wir gut, haben oft auf der Terrasse
gesessen, die Kinder haben glückliche Stunden hier verbracht: Einer ihrer
Schulkameraden lebte dort. Die Familie verkaufte die Villa Anfang 2014 an die
Lebensgefährtin von Carminati, die in der Straße einen Reitstall betreibt.
"Wir waren ahnungslos", sagen sie heute verzweifelt. "Es ist
eben immer das Gleiche: Heute können sich nur noch solche Leute eine Villa
leisten!" Hätten sie beim Verkauf besser hinschauen sollen? Aus den Akten
der Justiz geht hervor, dass viel Bargeld im Spiel war – davor wird von
Mafiafahndern in Italien immer gewarnt.
Die Straße ist schmal. Das ist für das
Hauptquartier eines Mafiachefs perfekt, man kann so alles gut kontrollieren. Es
liegen hier noch mehr Prachtvillen, einige sind im Besitz von
Bandenmitgliedern. Der italienische Innenminister Angelino Alfano warnte am
Samstag, dass die "Mafia keine ethnisch-territorial definierte Bande ist,
die nur in Corleone auf Sizilien ihre Heimat hat". Doch die herkömmliche Kontrolle des Territoriums, also
der Gegend, in der die Mafiabosse leben und agieren, ist für diese Leute
genauso lebenswichtig wie für ihre sizilianischen Kollegen.
Massimo Carminati wähnte sich in der
kleinen Via Monte Cappelletto sicher. Bis zum Morgen des 30. November, als
Carabinieri am Eingang der Straße auf ihn warteten und ihn verhafteten.
Eine blitzartige Aktion: Die Fahnder
fürchteten, dass Carminati ins Ausland fliehen könnte. Das hatte er schon
einmal versucht: vor 30 Jahren. An der französischen Grenze hatte er sich
damals eine Schießerei mit der Grenzpolizei geliefert und dabei ein Auge
verloren. Carminati soll Auftragsmorde begangen haben, war früher ein Mitglied
der rechtsradikalen Terrororganisation NAR und im Dunstkreis der Banda della
Magliana. Das ist eine römische Verbrecherbande, die in den 70er- und
80er-Jahren als Waffenlieferant und Bindeglied zwischen sizilianischer Mafia,
Geheimdiensten und Terroristengruppen diente und oft die "schmutzige
Arbeit" machte.
Die Bar als Gründungsort
Im Café "Vigna Stelluti" wurden die Mafia Capitale gegründet |
Mafia Capitale wurde erst vor zwei
Jahren eine straff organisierte Bande. Der offizielle Gründungsakt erfolgte am
13. Dezember 2012 in einer Bar am Largo di Vigna Stelluti. Der Platz liegt im
Stadtteil Vigna Clara, das ist der erste Anlaufpunkt für Modebegeisterte, die
von Sacrofano und dem nördlichen Stadtrand stadteinwärts kommen. An dem Platz
und in den Straßen drum herum liegen schicke und renommierte Geschäfte. Viele
der Läden hatte der Boss gekauft, wie jetzt aufflog. In anderen zog er
Schutzgeld ein.
Das Café "Vigna Stelluti" ist
eine Traditionsbar in Vigna Clara, stadtbekannt für köstlichen Cappuccino,
Aperitifs, Torten und Dolci. Auch an diesem sonnigen Wintertag ist die Bar
voll, draußen in den umliegenden Straßen sind die Läden in der
Vorweihnachtszeit geöffnet. Am Tresen steht Starmoderator Amadeus und schlürft
seinen Cappuccino.
Als Carminati hier seine Mafia Capitale
gründete, schnitten und filmten die Fahnder bereits mit: Hier sagte er, dass
die Bande die "Zwischenwelt" sei, die sich bei der
"Oberwelt", also bei Politikern und hohen Beamten, mit Schmiergeldern
einkaufe, um am Millionenkuchen öffentlicher Aufträge teilzuhaben. Sie werde
die "Unterwelt", die "Toten" ausbeuten – Geschäfte mit Roma
und Sinti und Gewinne mit der Verschiebung von Flüchtlingen machen.
Die Kellnerin will ihn nie gesehen
haben, wird aggressiv, als ich sie danach frage. Aber "Er Guercio",
der Schielende, saß doch oft hier, kontrollierte die Gegend. Will das niemand
gesehen haben? Mein Nachbar am Tresen ist Sizilianer, lacht auf die Frage und
sagt: "Das ist doch typisch!" Er selbst hat den Boss nie bemerkt,
aber doch gesehen, wie der Stadtteil immer mehr heruntergekommen sei. "Das
ist typisch für Gegenden, in die sich die Mafia einkauft. Sie haben kein
Interesse, wirkliche Geschäfte zu machen, sondern kaufen sich ein, um ihr Geld
zu waschen."
Die Tankstelle als
Hauptquartier
Die Tankstelle Eni war das Hauptquartier des organisierten Verbrechens in Rom |
Auf der Fahrt hinaus in unsere Vorstadt
tanke ich, genau wie viele meiner Nachbarn, an der Eni-Tankstelle am Corso di
Francia, der den Verkehr der Konsularstraße Flaminia aufgenommen hat. Gegenüber
der Tankstelle führt eine Straße hinauf zum Largo Vigna Stelluti, der Corso di
Francia teilt den Stadtteil Vigna Clara. Auf wenigen Kilometern dieser hier
sechsspurigen Ausfallstraße machen sich viele Tankstellen Konkurrenz, aber die
Preise von dieser sind ungeschlagen. Am letzten Sonntag war ich zuletzt dort.
Die Tankwarte sind freundlich und hilfsbereit, kontrollieren immer schnell noch
Öl, waschen die Scheiben. An der Waschstraße stehen nur Luxuswagen, Mercedes,
BMW, Ferrari, Maserati, Jeep, aber in der Gegend wohnen ja viele reiche Leute.
Zum Zahlen kommt immer der Chef
persönlich ans Auto, ist sehr höflich: "Guten Abend, Signora!",
"Noch einen Wunsch, Signora?", "Arrivederci, Signora!" –
bis zum nächsten Mal. Das dürfte jetzt dauern. Auch Roberto Lacopo war ein
Bandenmitglied, sitzt jetzt hinter Gittern.
Mit dem Paten Massimo Carminati saß er
oft auf der alten Holzbank vor dem Tankstellenshop, die eigentlich für Kunden
der Waschstraße dort steht. Die Tankstelle war das Hauptquartier von Mafia
Capitale. Von hier wurden Millionengeschäfte abgewickelt, Befehle per Handy
erteilt und Drohungen ausgesprochen – alles von den Ermittlern mitgeschnitten.
Die Tankstelle liegt im Herzen des Viertels, das von jeher für einen großen
Anteil alt- und neofaschistischer Römer bekannt ist. Carminati und seine
Kumpane lebten hier schon als Jugendliche, noch bevor sie als Kriminelle für
die Banda della Magliana arbeiteten.
Heute ist Carminati selbst der Chef
aller römischen Banden: Laut der Fahndungsergebnisse mussten selbst die
Mafiaorganisationen aus Süditalien Cosa Nostra, Camorra und N'drangheta dem
Boss Rechenschaft ablegen, Genehmigungen einholen. Die Mafia Capitale verkaufte
Waffen an die Sizilianer, half der Camorra beim Business mit Giftmüll, der
N'drangheta beim Großeinkauf von Immobilien, Läden und Restaurants. Mit der
Familie Casamonica, sesshaften italienischen Roma, hat Carminati einen Pakt
geschlossen.
Nicht weit von hier liegt auch das
Romacamp Tor di Quinto, eins von acht römischen Lagern, die ein linker
Bürgermeister schuf. Mit diesen Camps machte Mafia Capitale Millionenumsätze.
Über ein Konsortium von Dienstleistungsfirmen, die Carminatis Partner und Vizechef,
dem Unternehmer Salvatore Buzzi, gehören, wurden Politiker gekauft, die die
Instandhaltungsaufträge an die Bande vergaben. Nur instandgehalten wurde nie:
Die Roma-Lager sind verwüstete Favelas, in denen auch giftiger Müll verklappt
wird und deren zum Teil kriminelle Insassen ganze Stadtteile mit Raubzügen in
Schach halten.
Dass niemand die Mafia Capitale
aufhielt, liegt wohl auch daran, dass einer der in die Strukturen der Bande
verwickelten Politiker ein ehemaliger Chef der Provinzpolizei war. Er organisierte
auch das einträgliche Geschäft mit den Flüchtlingen. Die Bande kassierte
Gelder, war Betreiber der Flüchtlingsheime und schleuste illegal Menschen aus
sizilianischen Aufnahmelagern nach Rom.
Piazza di Ponte
Milvio als Umschlagplatz
Das Kneipenviertel an der Piazza di Ponte Milvio nutzte die Mafia Capitale als Umschlagplatz |
Zur rechtsfreien Zone wurde in den letzten Jahren auch die
hübsche Piazza di Ponte Milvio, tagsüber Marktplatz und Einkaufsgegend, nur 200
Meter vom Corso di Francia entfernt, und nachts Kneipenstraße und Treffpunkt
einer römischen Movida. Aber auf der Brücke, die über 2000 Jahre alt ist und wo
Kaiser Konstantin 312 "im Zeichen des Kreuzes" die bedeutende
Schlacht an der Milvischen Brücke schlug, blüht nachts der Rauschgifthandel.
Mafia- und Albanerbanden teilen sich das Geschäft.
Mafia-Pate Massimo Carminati bei seiner Verhaftung |
Erst kürzlich gab es eine Schlägerei in einem
der vielen Lokale in den Gassen rund um die Piazza, von denen einige Carminati
und seinen Leuten gehören. Auch der Boss soll dabei gewesen sein, als sie sich
im "Coco Loco" prügelten. Gleich gegenüber dem Lokal liegt ein
Autohändler, der die Bosse mit Limousinen versorgte.
Zu viele. Vieles spielte sich da ab, was
auf die Präsenz von Mafia deutet – in Palermo, aber auch in Mailand, Rom oder
Berlin: Viele neue Luxusläden und elegante Restaurants, die aber in Zeiten
anhaltender Rezession selbst keine Kunden mehr haben. Mein Vorstadtfriseur
hatte vor Jahren eine Filiale gegenüber vom Szenelokal "Coco Loco"
eröffnet, aber kurz darauf wieder geschlossen – jemand hatte Schutzgeld
verlangt, aber er wollte da nicht mitmachen.
.
http://www.welt.de/politik/ausland/article135139553/Die-Mafia-wohnt-hier-gleich-nebenan.html
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