Studentenmord hat an die Oberfläche gebracht, was in Mexiko lange
brodelt: Korruption und Mafia haben Politik und Polizei fest in der Hand.
Die Tragödie Mexikos kann man kaum besser
zusammenfassen als Armando Regil: "Der Fall Ayotzinapa war nichts Neues.
Er hat uns nur wieder einmal an die unerledigten Aufgaben erinnert",
schrieb der Gründer des Instituts für Strategisches Denken Agora.
In der Tat hat sich Mexiko in den vergangenen zehn Jahren an
Hiobsbotschaften gewöhnt: Kinder, die zu Killern werden, Bürger, die selbst die
Waffen in die Hand nehmen, Soldaten, die Jugendliche erschießen, Migranten, die
Freiwild sind für die Mafia. Und jetzt 43 Lehramtsstudenten der Hochschule von
Ayotzinapa, die im Auftrag des Bürgermeisters von der Polizei gejagt und von
Mafiakillern ermordet werden.
Die Gründe sind bekannt: schlecht bezahlte Polizisten, die von der
Mafia gekauft oder ermordet werden, eine dysfunktionale Justiz, die nur fünf
Prozent aller Straftaten ahndet, korrupte Politiker, eine kafkaeske Bürokratie.
Trotzdem gelang es Präsident Enrique Peña Nieta, mit liberalen
Strukturreformen die Illusion zu wecken, Mexiko sei auf dem Weg in die Moderne.
Vom Drogenkrieg war keine Rede mehr - höchstens als Jubelmeldung, wenn wichtige
Paten festgenommen wurden. Die Illusion ist geplatzt wie eine bunte
Seifenblase.
Drogen und Entführungen
Wie sein Vorgänger verfolgte Peña Nieta die von den USA
vorgegebene Strategie der Zerschlagung der großen Kartelle. So seien sie
weniger bedrohlich für den Staat, hieß es. Doch das beraubte die
zurückbleibenden kriminellen Zellen der für den Drogenhandel im großen Stil
nötigen Logistik.
Sie weiteten ihren Geschäftsbereich aus auf vergleichsweise
einfachere Geschäfte wie Schutzgelderpressung, Entführung, Prostitution,
Menschenhandel oder Rohstoffschmuggel. Es traf die Bevölkerung hart, die bis
dahin ein tolerantes Verhältnis zu den Kartellen gepflegt hatte.
Ursprünglich schmuggelte die Mafia Drogen und entlohnte das
komplizenhafte Schweigen der Bevölkerung mit Sportplätzen, neuen Rathäusern und
rauschenden Ortsfesten. Alle profitierten davon: Politiker konnten mit dem
schmutzigen Geld ihre Kampagnen finanzieren, bitterarme Bauern verdienten sich
durch Marihuanaanbau ein Zubrot.
Konsumboom
Mexikos Wirtschaft erlebte in den vergangenen 20 Jahren einen
Konsum- und Immobilienboom, der sich kaum durch das mickrige
Wirtschaftswachstum rechtfertigen lässt. In einem Land, das in den vergangenen
20 Jahren einen realen Kaufkraftverlust erlebt hat, entstand eine "neue
Mittelschicht", die plötzlich Plasmabildschirme, Geländewagen, Smartphones
und Markenklamotten erstand.
Das rauschende Fest des Konsums, erkauft nicht durch Produktivität
oder Meritokratie, sondern durch Illegalität: Steuerbetrug und Geldwäsche
gehören ebenso dazu wie Piraterie.
Sollte Peña Nieta jemals geglaubt haben, dies sei durch halbgare
Bildungs-, Energie- und politische Reformen zu lösen, wurde er durch Ayotzinapa
unsanft geweckt. Ein erster Warnschuss war der Aufstand der bewaffneten
Bürgermilizen im Bundesstaat Michoacán Anfang des Jahres gegen die Drogenmafia,
nachdem die Hilfsappelle der Bevölkerung unerhört geblieben waren.
Polizei von Kartellen
gekauft
Später stellte sich heraus, warum: Die Regierung des Bundesstaates
wurde vom Kartell der Tempelritter kontrolliert. Peña Nieta sah sich gezwungen,
einen Vertrauensmann als Statthalter einzusetzen. Dann lief die Situation in
Tamaulipas aus dem Ruder; auch dort musste das Militär die örtliche Polizei
entwaffnen, die im Sold der Kartelle stand.
Ayotzinapa mobilisiert vor allem die Jugend, die keine Zukunft
sieht in der Alternative zwischen schlechtbezahlten Jobs und einer lukrativen,
aber vermutlich kurzen Mafiakarriere.
Unter dem Druck der Demonstrationen bastelte Peña Nieta hastig
einen Zehnpunkteplan für den Rechtsstaat zusammen, der unter anderem eine
einheitliche Notrufnummer, die Abschaffung der Gemeindepolizei und einen
Antikorruptionsplan vorsieht.
Das Paket wird momentan im Kongress zerpflückt. Jede Partei
verteidigt ihre Pfründe, der Kontrolle durch die Zivilgesellschaft will man
möglichst umgehen. "Der große Wurf ist es nicht, aber wenigstens ein
Anfang", seufzt Juan Francisco Torres Landa von der Organisation "Mexiko
geeint gegen das Verbrechen".
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