Es sind die ungelösten Todesfälle, die
Londons Ruhm oft ins Verruchte wenden. Der Frauenmörder Jack the Ripper ist bis
heute nicht überführt. Und was wäre der englische Kriminalroman ohne London und
seine wabernde Undurchdringlichkeit, was Scotland Yard ohne die sich häufenden
Tode der letzten Jahre und das Dunkel um sie herum?
Eine makabre Liste kursiert derzeit, sie
liest sich erschreckend. 51 Banker sind weltweit seit März 2013 gestorben, viele
leitende Bankangestellte, Finanzmanager und Kapitalinvestoren begingen
Selbstmord, es gab Morde durch Erschießungen aus nächster Nähe, Unfälle und
Flugzeugabstürze, aber auch plötzliche Tode mit unbekannter Todesursache. Ein
neuer Fall – Nummer 52 – erregt die Gemüter, eine Serie von Fragezeichen um
einen Fenstersturz mit tödlichen Folgen.
Dies ist der Hintergrund. Am 8. Dezember
finden Polizisten um 17 Uhr in Marylebone, einem modisch-reichen Distrikt von
London, einen 52 Jahre alten Mann. Er hängt aufgespießt auf einem jener spitzen
Metallzäune, die sich vor Hunderten von Altbauten in London finden lassen.
Anwohner sind schockiert von dem Anblick, die Polizisten auch, sie müssen das
Gitter an der Unfallstelle aufschneiden, um den Toten zu bergen.
Einst geschätztes
Vermögen von 400 Millionen Pfund
Es handelt sich um den 52 Jahre alten
Scot Young, beileibe kein Unbekannter in London. Er ist 20 Meter tief aus dem
vierten Stock gestürzt, aus seinem Apartment, einer Millionen Pfund teuren
Immobilie. Mit Immobilien hat Scot Young im Boom der 80er- und 90er-Jahre sein
Geld gemacht, man schätzte ihn einst auf ein Vermögen von 400 Millionen Pfund.
Doch das ist lange her, und in einer
sieben Jahre währenden Gerichtsschlacht mit seiner Frau Michelle – sie wurden
endlich im November 2013 geschieden – redete er sich als "verarmten
Reichen" klein, dessen Objekte seit der Finanzkrise an Wert ständig
verloren wenn nicht geradezu zerplatzten. Die "Welt" berichtete 2009
zum ersten Mal über diesen Fall, der selbst hartgesottene Juristen, ob seiner
schmutzigen Unterwäsche ans Tageslicht gezerrt, abstieß.
Michelle Young behauptete, ihr Ex-Mann
habe durch Machenschaften wie Geldwäsche und gezinkte Buchführung Millionen in
die Steueroasen verschoben, in die Karibik, nach Zypern, oder wohin auch immer.
Young aber weigerte sich, vor Gericht präzise Auskunft zu geben über seine
angeblichen Business-Verluste. Dafür kam er im Januar 2013 für sechs Monate
hinter Gittern. Dem Freigesetzten konnte ein Richter lediglich ein Vermögen von
40 Millionen Pfund nachweisen, wovon die Hälfte an seine geschiedene Frau zu
zahlen sei. Wie es heißt, haben Michelle Young und die beiden Töchter Scarlett
und Sasha bisher keinen Pfennig davon gesehen.
Ein Auto, gefüllt mit
teuren Kleidern
Wie kam Scot Young zu Tode? War es
Selbstmord, war es eine von der Mafia erzwungene Selbstauslöschung? Hat ihn ein
Unbekannter geschoben? Für alle diese Versionen gibt es plausible Gründe.
Dieser Mann war lange Zeit über das Faktotum der russischen Oligarchen, die
London bevölkern, war Vermittler beim Erwerb von Palästen, Luxusautos und
anderen Accessoires des süßen Lebens und konnte sich in der Folge märchenhaft
bereichern.
Aus einfachem Sozialmilieu im
schottischen Dundee emporgekommen, warf er in seinen besten Jahren mit seinem
Geld nur so um sich. Ein üppiges Anwesen in Oxfordshire, Häuser in Florida und
Südfrankreich, dazu eine Yacht in Monaco – seine Einsätze im Roulette des
Lebens zahlten sich aus. Einmal kaufte er seiner Ehefrau einen Range-Rover, bis
zum Dach angefüllt mit Kleidern der Haute Couture, dann schenkte er ihr zu
ihrem 40. Geburtstag ein Halsdiadem im Millionenwert.
Obendrein war er ein Gigolo des
flüchtenden Kapitals, immer eine Nasenlänge den Untersuchungen voraus, die ihn
als Steuerhinterzieher oder Geldwäscher überführen wollten. Obskure Trusts
verwalteten Riesenvermögen in Russland, Zypern, der Karibik-Insel Nevis, in
Monaco oder Liechtenstein. Aber immer, wenn man einen davon als zweifelhaftes
Unternehmen entlarven wollte, waren die Wertposten auf einen anderen
fadenscheinigen Schauplatz verschoben worden, unter neuem Firmennamen.
Das "Projekt
Moskau" scheiterte
Zu Mr. Youngs besten Freunden zählte
auch Boris Beresowski, der im Jahr 2000 vor Putin, mit dem die Freundschaft
zerbrochen war, aus Russland fliehen und seine Vermögen in England in
Sicherheit bringen musste. Mysteriöse Geschäfte waren die Spitzmarke dieser
romanhaften Gestalt, darunter ein "Projekt Moskau", für das er Scot
Young zu gewinnen wusste: einen Hotel- und Shopping-Komplex mit höchst
lukrativen Aussichten. Das Projekt aber zerbrach, und die damit einhergehenden
Verluste gab Young immer als den Hauptgrund seiner "Verarmung" an.
Dabei ist nicht klar, ob er wirklich
eigene Investitionen verlor, oder nur der Finanzartist war, der in Kommission
für seine Hintermänner arbeitete und bei denen dabei allmählich seinen Kredit
verspielte. Seine Freunde berichten heute, dass er in den letzten Jahren ein
persönlich Gejagter und Gezeichneter geworden war, mit wachsender Drogen- und
Alkohol-Abhängigkeit. Zweimal wurde er zwangseingewiesen in eine Heilanstalt,
mehrmals begab er sich selber in Kliniken zur Behandlung seiner Depression.
Beresowski erhängte sich im Januar 2013
in seinem luxuriösen Landsitz nahe London, vier weitere Geschäftsfreunde von
Scot Young starben unter dramatischen Umständen, warfen sich vor die U-Bahn
oder sprangen vom Dach eines Einkaufszentrums.
"Da oben ist ein
Verrückter", rief die Ex-Verlobte
Auch um Young zog sich zuletzt die
Schlinge immer enger zu. Eine Liaison mit der 36-jährigen Amerikanerin Noella
Reno, einem früheren Mannequin und eigenständiger Unternehmerin, trug nicht zu
seiner Stabilisierung bei. Im Gegenteil: Die Verlobung aus diesem Sommer wurde
unlängst aufgelöst, zunehmender Streit zerrüttete die Beziehung.
Noella Reno berichtete vor wenigen Tagen, dass Young und sie am
Nachmittag seines Todestages eine heftige Auseinandersetzung hatten, in deren Verlauf
sie den Mann praktisch der Wohnung verwies, die zur Hälfte ihr gehörte; dass
sie neue Schlösser anzubringen plante und beim Verlassen des Apartments wissen
ließ, sie werde jetzt die Polizei rufen. In der Tat: "Da oben ist ein
Verrückter", meldete sie, und begab sich zu Adresse einer Freundin. Die
Polizisten reagierten prompt – und fanden die Leiche Youngs, grausam
aufgespießt.
Der Mann, der im Schatten der Legalität
operierte und dem man heute Kontakte auch zur berüchtigten kriminellen
"Adamsbande" aus Nordlondon nachsagt, starb, wie er gelebt hatte:
ungeklärt. Keinen Abschiedsbrief will die Polizei gefunden haben – das ist das
Einzige, was Scotland Yard herauslässt. Die Undurchdringlichkeit Londons hat
sich ein weiteres Mal bestätigt.
http://www.welt.de/vermischtes/article135432756/Todesfall-52-versetzt-Londons-Neureiche-in-Angst.html
http://www.welt.de/vermischtes/article135432756/Todesfall-52-versetzt-Londons-Neureiche-in-Angst.html
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